Darling, ich bin deine Tante Mame! - Roman

mein lieber Patrick. Manchmal denke ich, ich habe überhaupt nichts erreicht bei dir. «
    » Genau das soll mit Mike auch so sein– du sollst nichts bei ihm erreichen. Er lebt ein ruhiges, beschauliches Leben. Er geht auf eine gute, konservative Schule und… «
    » Kann ich mir gut vorstellen. Könnt ihr es so einrichten, dass er Freitag abreisen kann? « , fragte Tante Mame Pegeen.
    » Freitag? Na ja, ich… «
    » Prima! Wir fliegen mit der Maschine um zwölf. «
    » Darf ich ganz wirklich mitfahren? « , sagte Mike.
    » Ja, aber nur den Sommer über. Deine Tante Mame weiß, dass du zu Schulbeginn wieder da sein musst. «
    Tante Mame nahm Mike an die Hand und schaute ihm verführerisch in die Augen. » Sag mal, mein lieber Kleiner, gefällt dir die Schule, auf die du gehst? «
    » Nein « , sagte Mike.
    » Es ist gerade ein sehr interessanter Mann aus Madras bei mir zu Besuch. Er hat ein ganz neues Erziehungskonzept entwickelt, Michael. Eine Schule für Jungen und Mädchen aller Hautfarben und Nationalitäten. Gelernt wird draußen in der freien Natur, und statt Bücher gibt es… «
    » Ich habe dir gesagt, dass er vor Labor Day wieder zu Hause sein soll! « , fauchte ich.
    » Der Mann ist zufällig auch hier auf meiner Party, mein lieber Kleiner « , sagte sie zu Mike, » und er würde dich bestimmt gerne kennen lernen. Komm, wir suchen ihn. Viel Spaß noch, meine Lieben « , rief sie uns noch über die Schulter hinweg zu.
    » Mein Gott « , staunte Pegeen, » die ist ja wie der Rattenfänger. «
    Mit Mike an der Hand und wehendem Sari tauchte Tante Mame in der Menge unter.

Paul Rudnick:
    Patrick Dennis
    P atrick Dennis kann einen Menschen in die Pubertät stoßen. Als ich in einer Stadtbücherei in New Jersey zum ersten Mal auf seine Romane stieß, war ich elf oder zwölf Jahre alt, und seine Geschichten aus dem Leben der feinen Leute weckten in mir den sehnlichen Wunsch, endlich erwachsen zu werden, oder wenigstens den nach einem starken Cocktail und einer zwanzig Zentimeter langen Zigarettenspitze. Zweifelsohne ist Darling, ich bin deine Tante Mame Mr. Dennis’ bestes Buch. Seine Titelheldin ist längst zu einer Symbolfigur geworden: Denn Tante Mame ist Amerikas diabolische Antwort auf Mary Poppins.
    Ursprünglich war der Roman als eine lose Folge von kurzen Geschichten, die sich um Mame rankten, geplant. Doch ein geschickter Lektor schlug vor, eine Art Klammer einzuführen, die die einzelnen Texte miteinander verbindet, und griff dafür auf eine Idee zurück, die er einem der gediegensten und kleinbürgerlichsten aller Druckerzeugnisse, dem Reader’s Digest, geklaut hatte. Im Digest gab es eine Rubrik, in der sich der Autor an einen » Menschen, den man nicht vergisst « erinnert, für gewöhnlich eine geliebte alte Jungfer, die ihre geheimen Tricks beim Pfirsicheinmachen verriet, oder ein strenger, aber fürsorglicher Lateinlehrer, der seinen Schülern die Freude an Catull nahebrachte. Dieses harmlose Format mischte Patrick Dennis mit Schadenfreude und Boshaftigkeit auf. Denn der » Mensch, den er nicht vergisst « , ist Mame Dennis, eine brillante, kettenrauchende, nicht selten berauschte Gesellschaftsdame aus Manhattan, für die neun Uhr morgens » mitten in der Nacht « ist. Die Geschichte wird von Patrick Dennis persönlich erzählt, der als Waise im Alter von zehn Jahren zu Tante Mame in ihre heillos überladene Maisonettewohnung am Beekman Place gesteckt wird und mitten in die geschwätzige Gesellschaft einer Cocktailparty hineinplatzt, zu deren Gästen auch folgendes Paar zählt: » Der Mann sah aus wie eine Frau, und die Frau war, abgesehen von ihrem Tweedrock, fast das Ebenbild von Ramon Novarro. « Nach einiger schwindelerregender Verwirrung berichtet der junge Patrick über seine Tante: » Sie schlang ihre Arme um mich und küsste mich, und ich wusste, ich war gut aufgehoben. «
    Der beträchtliche Charme von Tante Mame liegt zum Teil in der unbekümmerten Respektlosigkeit gegenüber der Familienfalle: Patrick beklagt an keiner Stelle sein Waisendasein, und Psychotherapie wird als Modetrend betrachtet, so wie Ikebana und der Bubikopf. Tante Mame steht für die Wunscheltern eines unartigen Kindes: Sie ist reich, hat ein loses Mundwerk, verbreitet Glamour. Sie kommt daher wie eine burschikose, Rollschuh fahrende Glinda, braucht nur mit dem Finger zu schnippen, und schon sind Hausdiener da, Seidenlaken und gelegentlich auch ein Rolls-Royce. Mame führt sich auf wie eine Schauspielerin, die über