Darling, ich bin deine Tante Mame! - Roman
Mr. Dennis obsiegt kraft seines Tempos und einer eleganten Roheit. Tante Mame ist ein trunkenes Märchen, und Mame ist Schneewittchen mit vielen Prinzen und eigenem Einkommen.
Im Laufe der Jahre wurde Tante Mame mehrfach bearbeitet, für einen Broadwayhit, einen ebenso erfolgreichen Hollywoodfilm, ein Bühnenmusical, das alle Rekorde schlug, und für einen höchst peinlichen Musicalfilm mit einer bereits abgetakelten Lucille Ball in der Hauptrolle. Diese letzte desaströse » Mame « veranschaulicht eine gefährliche Verflachung des Romans. Lucy spielt Mame als eine Figur von anregender Erbauung, als strahlende Lady von wohlwollender Güte, mit genau dem Maß an Unschärfe, das sogar eine Loretta Young zufrieden stellt. In dem früheren, nicht als Musical gedrehten Film wird Mame von Rosalind Russell gespielt, und selbst sie ist eine Spur scheinheilig. Niemals sollte Tante Mame zu einer weichherzigen » Urmutter « verkommen, die tapfer ihren ängstlichen Neffen formt und verstohlen eine Träne zerdrückt, wenn er sich das erste Paar lange Hosen kauft. Diese Bearbeitungen machen aus dem Roman ein Rührstück und aus Mame eine schlichte, geschlechtslose Reader’s Digest -Heldin.
Patrick Dennis ist das Gegenteil eines » tränendrüsigen « Autors. Seine nachfolgenden Romane, auch darunter wieder viele Bestseller, entwerfen ein schaurigschönes, zersetzendes Panorama der amerikanischen Gesellschaft, von den Gin getränkten zwanziger bis zu den in Schafwollwesten gepackten sechziger Jahren. Zu meinen Lieblingswerken gehören Genius, das vielschichtige Porträt eines hochtrabenden, visionären, durchgeknallten Filmregisseurs, einer Gestalt vom Format eines Orson Welles, der in Mexiko Bankrott macht und aus reiner Wut einen unabhängig finanzierten » kunstvollen « Film dreht. Mir gefällt auch der Roman Tony sehr, ein kalter Blick auf einen gesellschaftlichen Aufsteiger, und How Firm a Foundation, eine prächtige Entzauberung eines den Kennedys ähnlichen, in Finanznöte geratenen Familienclans. Allen Romanen von Mr. Dennis ist eine faszinierende, moralische Ambivalenz eigen; zu mächtigen Persönlichkeiten fühlt er sich ohnmächtig hingezogen, deren Wahnsinn dennoch nicht verkennend. Viele seiner Bücher sind nach dem Muster von Tante Mame verfertigt, die Sicht eines gelasseneren, umsichtigeren Außenseiters auf die extravagante Diva.
Patrick Dennis führte ein Doppelleben, als hingebungsvoller Ehemann und Familienvater und als sexueller Abenteurer, als verwegener Romanschriftsteller und– erstaunlich, nach den Jahren des Erfolgs– als anonymer Butler, unter anderem auf dem Anwesen von Ray Kroc, dem Gründer von McDonald’s. Mr. Dennis ist der Künstler als Concierge; er genoss den Zugang zu den Reichen und Berühmten, hielt aber geschickt Distanz. In erster Linie ist er ein glänzender gesellschaftlicher Beobachter, und er ist detailversessen, im Sinn einer Tradition, die von Edith Wharton bis Tom Wolfe reicht. An einer Stelle charakterisiert Mame eine Familie mit den Worten, » ein Hauch von B. Altman’s, den teureren Etagen, immerhin « , und im Zweiten Weltkrieg erklärt sie: » Ich habe mehr Anleihen an den Mann gebracht als alle anderen, die bisher im El-Morocco-Hotel verkauft haben! « Als ich diese Sätze zum ersten Mal las, hatte ich keine Ahnung, was B. Altman’s oder El Morocco bedeutete, aber ich hatte instinktiv begriffen, worauf es ankam: Patrick Dennis ist leidenschaftlich genau, sowohl was den Inhalt eines bürgerlichen Picknickkorbs betrifft als auch die Ausdrucksweise eines Langweilers aus den Südstaaten. Seine Begeisterung ist seine Kunst.
Als Jugendlicher in New Jersey beeindruckte mich sehr, dass Patrick Dennis so großen Wert auf Stil legt. Kaum wechselt der Patrick in Tante Mame aufs College, schließt er sich einem Freundeskreis an, den die inbrünstige Verehrung für Fred Astaire, seinen Charme, seine Lässigkeit und seine spitzen Schuhe eint. Sobald sich eines der Mitglieder einer heiklen Situation ausgesetzt sieht, fragt es sich: » Was würde Fred Astaire jetzt wohl machen? « Persönlichkeit– so etwas war in New Jersey anrüchig, und schmissiger Stepptanz wäre als höchst suspekt angesehen worden. Es herrschte Eintönigkeit vor, und Patrick Dennis war eine Lichtgestalt, die mich zur erhofften Lasterhaftigkeit Manhattans führte. Zu diesem Zeitpunkt, in den siebziger Jahren, waren Patrick Dennis’ Bücher bereits fast vergriffen. Seine Werke galten als hoffnungslos veraltet,
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