Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand
Abhängigkeit von der Spezies als auch vom speziellen Verhaltenskomplex abhängig – bei Säugern anders als bei Insekten, beim Hund vielleicht anders als bei der Katze und im Bereich Sozialverhalten anders als beim Fressen. Hier gibt es noch viel zu erforschen. Gerade wir Menschen stellen häufig die Frage, inwieweit soziale Kompetenz bzw. auf der anderen Seite Asozialität bis hin zu Gewalt- und Verbrechensbereitschaft von den Genen beeinflusst wird. Allzu viel wissen wir darüber noch nicht. Wesentlich weiter ist die Wissenschaft bezüglich anderer Verhaltenskomplexe, so etwa im Bereich unseres Essverhaltens bzw. der Nahrungsverwertung. In Wohlstandsgesellschaften, in denen Übergewicht immer mehr zu einem die Volksgesundheit bedrohenden Problem wird, bringt auch die Öffentlichkeit dieser Thematik steigendes Interesse entgegen. Das alles hat den Forschergeist dazu inspiriert, zu ergründen, wie sich hier die Gewichtung zwischen genetischer Veranlagung und individuellem Verhalten gestaltet. Zwar kann die Hoffnung vieler, sich mit dem Verweis auf „geerbte schwere Knochen“ oder die berühmten „bösen Drüsen“ aus der Verantwortung für die eigenen Proportionen stehlen zu können, nicht befriedigt werden. Neueste experimentell gewonnene Erkenntnisse deuten aber darauf hin, dass jedes Individuum einen Körpergewichts-Setpoint mit auf den Lebensweg bekommt, der durch einen Komplex von Genen codiert wird. Dieser genetische Rucksack scheint einen über 50 % liegenden Einfluss auf unser originäres „Kampfgewicht“ zu haben. Die Veranlagung, schlank zu bleiben oder mit den Pfunden kämpfen zu müssen, wird also in erheblichem Ausmaß von unserem Erbe vorgegeben – das mag zumindest einigen kräftiger Gebauten zum Trost oder zur Ausrede gereichen. Was tatsächlich passiert – und hier endet der „Fluchtweg“ manch eines Genießers –, wird entscheidend durch das Essverhalten während der ersten sechs Lebensjahre (inklusive der Logis in Mutters Bauch) beeinflusst. Auch hier scheinen epigenetische Regulationsmechanismen folgenschwer involviert zu sein. Die Schwangerschaft hat sich als besonders sensible Phase erwiesen. Eine überreichlich genährte Mutter mästet den Fötus bereits pränatal – der erste Verhaltensfehler, gegen den sich kein neuer Erdenbürger wehren kann. Häuft der Spross dann infolge fortgesetzter Fehlernährung und der entsprechenden genetischen Disposition bis zum Erreichen des Einschulalters reichlich Fettzellen an, wird er diese zeitlebens nicht mehr los – zumindest nicht ohne Chirurgen. Das bedeutet für die Betroffenen allerdings keinesfalls, dass sie ihr Leben schicksalhaft als Dickerchen zu bewältigen haben – Trost für die einen, „Ausredekiller“ für die anderen. Denn wenngleich einmal angelegte Fettzellen nicht mehr eliminierbar sind, ihr Füllungszustand und damit unser gesamtes figürliches Erscheinungsbild lässt sich hochgradig durch die Nahrungsaufnahme regulieren. Nur müssen hier von gewichtig Vorbelasteten erheblich strengere Regeln beachtet werden als von den mit einem Turbostoffwechsel ausgestatteten „Hungerhaken“.
Das alles hat nur am Rande mit Sozialverhalten, dem Ausgangspunkt dieses Exkurses, zu tun, veranschaulicht aber, wie komplex sich das Wechselspiel zwischen genetischen Vorgaben und äußeren, teils epigenetisch wirksamen Einflüssen gestaltet. Hinsichtlich der sozialen Kompetenz lassen sich wie gesagt derzeit noch keine so konkreten Angaben wie im Falle der Gewichtsentwicklung machen. Die ganz Sache wird noch komplizierter, wenn wir ins Kalkül ziehen, dass erlerntes Verhalten bzw. das, was wir lernen, und die Art, wie wir es als Lehrende an den Nachwuchs vermitteln, auch etwas mit Intelligenz zu tun hat. Und die hat ganz sicher eine erbliche Disposition. Was daraus gemacht wird, hängt wiederum entscheidend von intellektuellen Umweltreizen (Erziehung, Bildungsreize) ab, die während sensibler Lernphasen in früher Jugend gesetzt werden müssen. Dies entscheidet letztlich über die im Gehirn geknüpften Vernetzungen. So leicht sind die Wirkungen von Genetik und eigenem Zutun also nicht immer zu unterscheiden. Das gilt auch für physische Fertigkeiten, etwa die Bewegungsschulung. Die koordinativen Grundfähigkeiten von Kindern etwa sind sehr unterschiedlich ausgeprägt – gemeinhin spricht man von angeborenem Talent. Was sich daraus entwickelt, hängt von der richtigen Anleitung, von Fleiß, Motivation und elterlichem Vorbild ab. Wie groß der
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