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Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand

Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand

Titel: Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tectum Wissenschaftsverlag Marburg
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Wertesystem, das moralische Korsett, schlägt uns immer wieder ein Schnäppchen, lenkt unser Denken immer in eine bestimmte Richtung. In unseren Köpfen wird alles als gut oder böse, hübsch oder hässlich, ästhetisch oder abstoßend, geschmeidig oder plump, bemitleidens- oder verachtenswert registriert. So wird das
arme
Mäuschen vom
bösen
Raubvogel verschlungen, die
grazil
über die Savanne schwebende Gazelle vom
gefräßigen
Leoparden gerissen, die
hinterhältige
Hyäne bedient sich am Aas.
Edle
Blumen verdorren im Schatten
wuchernden
Unkrauts. Ohne solche Emotionalität können wir nicht. Sie ist aber nur in unserem Wertesystem gültig, eine biologische Logik dahinter gibt es nicht. Selbst identisches Handeln wird bisweilen von uns allein aufgrund unseres visuellen Empfindens in Gänze konträr eingestuft. Marienkäfer verehren wir als Glücksbringer, Spinnen dagegen verursachen uns Phobien. Dabei tun beide dasselbe. Sie vertilgen von uns zu Schädlingen degradierte Kleinorganismen. Allein aufgrund ihres Aussehens werden die einen von uns geliebt die anderen gehasst. Ratten bezeichnen wir verächtlich als ubiquitär plagende Allesfresser. Dabei tun sie nichts anderes als wir selbst. Die Liste ließe sich endlos erweitern. Für unser Zusammenleben sind unsere Wertvorstellungen ein essenzieller Stabilisierungsfaktor, für das Verständnis der Natur oft ein Hemmschuh. Moral und Ethik scheinen solitär auf dem humanen Stammbaumast der Evolution hervorgebrachte Eigenschaften, die der körperlich eher schwachen Gattung Homo bis dato das Überleben gesichert haben. Durch unser Wertesystem konnten wir eine soziale Kompetenz erwerben, die viele unserer Defizite kompensiert. Wohin es führen kann, wenn wir dieses schützende Netzwerk zerschneiden, die Moral ins Gegenteil verkehren, musste und muss die Welt nur allzu oft erfahren: zu Selbstvernichtung. Kriege sind keine Darwin’schen Erfolgswerkzeuge, daran ändert auch ein kurzfristiger materieller Gewinn oder Machtzuwachs der vermeintlichen Sieger nichts. Evolutionär ist jeder Krieg ein Schritt in die suizidale Sackgasse. Unser moralisch-ethisches Rückgrat möge uns vor diesem Irrweg bewahren. Dafür müssen wir auch bereit sein, auf Detailwissen zu verzichten. Die abschreckenden Erfahrungen, die die Menschheit mit dem Übertreten ihrer sittlichen Grenzen gemacht hat, beschränken auch unsere Forschungsaktivitäten. Wir sind verunsichert, wenn wir in der Natur einige unserer ethischen Vorgaben überschritten zu sehen glauben, etwa wenn ein Räuber seine Beute tötet. Wir vergessen dabei zu oft, dass hier keinerlei der nur uns eigenen verwerflichen Machtmotive im Spiel sind. Kein Raubtier tötet über den eigenen Bedarf hinaus. Dies tut einzig der Mensch – teils aus Macht-, teils aus Wohlstandsmotiven. Ein satter Löwe lässt sich auch von der „schmackhaftesten“ Gazelle in seiner Nähe nicht verführen. Er braucht auch keine Froschschenkel oder Kaviar auf seinem Speiseplan. Er tötet und frisst, um zu (über)leben. Die Einteilung in böse Täter und arme Opfer gilt in natürlichen Nahrungsketten nicht. Hier scheint unsere Ethik durchbrochen. Sie ist es aber nicht, da ja letztendlich beide Gruppen – die Fresser- wie die Opferspezies – profitieren. Dem einzelnen Opfer nutzt das natürlich wenig, aber nur so können stabile Gleichgewichte entstehen, die Überbevölkerungen vermeiden und ausreichende Nahrungsversorgung für alle sichern. Evolution berücksichtigt keine menschlichen Ethikvorstellungen. Sie braucht diese nicht, da sie verwerfliche Machtgier nicht kennt. Wir aber können ohne unsere ethisch-moralischen Werte nicht existieren. Unseren forscherischen Erkenntnismöglichkeiten setzt dies freilich Grenzen. Dieses Opfer zu erbringen müssen wir bereit sein – unserer eigenen Überlebensfähigkeit zuliebe.
    Das Fazit lautet: Wir sind vermutlich die einzigen Wissenschaftler auf diesem Planeten und zugleich die ungeeignetsten. Denn wir sind fest in ein Abstammungsgeflecht eingebunden, dessen Gesetzmäßigkeiten wir zu ergründen suchen. Wir werden nie die Möglichkeit haben, das ganze System als neutrale Beobachter von „außerhalb“ zu analysieren. Daran wird auch kein Weltraumausflug oder Marsbesuch etwas ändern, denn es handelt sich nicht um ein geografisches, sondern um ein intellektuelles Problem. Unser genetisches Korsett lässt keinen Ausreißversuch zu und ermöglicht uns keinen freien Blick auf das Leben. Versuche, es zu sprengen, verlaufen

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