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Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand

Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand

Titel: Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tectum Wissenschaftsverlag Marburg
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Zeitgeist
    Natürlich muss sich auch die Darwingegnerschaft die Frage gefallen lassen, wie es dem Deszendenzmodell gelingen konnte, einen derartigen Durchmarsch zu starten, wenn die von Darwin formulierten Gesetze des Formenwandels doch einzig auf Unlogik und nicht belegbaren Forderungen beruhten. Unter solchen Voraussetzungen wäre es doch schier unmöglich gewesen, sowohl in Wissenschaftskreisen als auch in der öffentlichen Meinung jenes von allgemeiner Zustimmung geprägte positive Renommee zu erlangen, das wir gegenwärtig konstatieren können. Besonders das „Abdrücken aus den Startlöchern“ des viktorianischen Englands dürfte schwer zu erklären sein. Wie konnte im Umfeld einer kirchlichen Diktatur, deren göttliche Allmachtslehre anzugreifen wahrlich nicht ungefährlich war, ein Modell Anerkennung finden, welches das Dogma des theistischen Schöpfungsmonopols mehr als infrage stellte? Da selbst die glühendsten der heutigen Kritiker nicht behaupten können, es habe von Beginn an ein „Darwin-Komplott“, also eine den Erkenntnissen widersprechende Pro-Darwin-Verschwörung führender Wissenschaftskreise gegeben, bestand nur eine Möglichkeit, die von Darwin und den Verfechtern seiner Lehre unbeirrt genutzt wurde: erdrückende Indizien, fassbare Belege und eine logische Kombinatorik, die eine stabile Argumentationskette entstehen ließ. Die Kritiker unserer Tage sehen dies freilich ganz anders. Für sie ist der Darwinismus und besonders das, was sich in den vergangenen eineinhalb Jahrhunderten daraus entwickelt hat, eine Mogelpackung, die ihren durchschlagenden Erfolg der Bedürftigkeit Darwins mittelloser Zeitgenossen verdankt – „Opium fürs Volk“ sozusagen. Demnach habe Darwin den Zeitgeist ins Schwarze getroffen, in dem er genau das formulierte, was die vom Staat und vor allem der Kirche Geknechteten, sozial Schwachen hören wollten. Man sei dieser Diktatur überdrüssig gewesen (dies mag durchaus zutreffen) und lechzte förmlich nach etwas, das jenen Dogmatismus schwächte, der über Jahrhunderte hinweg kein „Aber“ zuließ. In dieser Situation sei Darwin der große Heilsbringer oder zumindest Hoffnungsträger gewesen. Die eigene, niedere Position in der Gesellschaft nicht mehr als unabänderlichen Teil göttlicher Schöpfung akzeptieren zu müssen, die globalen Verhältnisse nicht als starres Produkt eines strafenden Allmächtigen zu erleben, habe Hoffnung für die eigene Lebenssituation gemacht. Allein dieser brodelnde „Bedürfnis- und Unzufriedenheitskessel“ habe Darwins Werk den Weg geebnet, die ersten, so entscheidenden Sprossen der Karriereleiter zu nehmen. Wie sehr das Volk nach Veränderung dürstete, habe sich auch in den ersten Verkaufszahlen widergespiegelt. Die Premierenauflage der „
Entstehung der Arten
“ war noch am Herausgabetag vergriffen. Verschwiegen wird dabei, dass diese erste Edition mit 1250 Exemplaren nicht so üppig bemessen war, vor allem aber, dass sich die Leserschaft nicht vorwiegend aus den „Geknechteten“ rekrutierte, die ja großenteils des Lesens gar nicht mächtig waren. Diese sozial Schwachen, die doch nach Meinung der Kritiker Darwins Erfolgsgaranten waren, mussten im harten „Überlebenskampf“ all ihre Energien auf die pure Existenzfähigkeit konzentrieren. Da blieb kein Raum, da fehlte es an intellektuellen Fähigkeiten und wahrscheinlich auch an Motivation, sich mit den Überlegungen eines weltreisenden Naturliebhabers zu befassen. Wen Darwin primär erreichen, vor allem aber überzeugen musste, den fand er nicht in den Slums, das war nicht der kleine Mann von der Straße. Sein Ansprechpartner war die wissenschaftliche Elite, waren die Koryphäen mit Einfluss. Diese für seine Idee zu gewinnen, wäre nie mit einem von Unlogik und Widerlegbarkeit geprägten Denkmodell möglich gewesen. Nur durch einen Pool greifbarer Indizien konnte es gelingen, den Teil der gehobenen, wissenschaftlich orientierten Gesellschaft zu überzeugen, der furchtlos und autoritär genug war, sich dem Diktat kirchlicher Doktrin entgegenzustellen. Den Erfolg des Evolutionsmodells einzig auf die viktorianische Bedürfnislage zurückzuführen, einen Zeitgeist, der mit dem heutigen kaum mehr etwas gemein hat, ist absurd. Darwins Grundmodell wurde weiterentwickelt, durch Einbeziehung neuer Wissenschaftsdisziplinen immer mehr gefestigt und erweitert. Der moderne Darwinismus ist nicht ein dem heutigen Zeitgeist entrücktes Hirngespinst, sondern das am besten belegte

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