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Das 4. Buch des Blutes - 4

Das 4. Buch des Blutes - 4

Titel: Das 4. Buch des Blutes - 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Boswell dankte Jahwe für das bißchen Erbarmen. Er hatte keineswegs den Wunsch, die Einzelheiten der Vorgänge im Gang zu sehen; der allgemeine Eindruck war beklemmend genug. Der Korridor war ein Tollhaus. Menschen warfen sich in flehentlicher Panik hin und her, während sie gleichzeitig mit jedwedem scharfen Instrument, das sie in die Finger bekommen konnten, auf sich selber einhackten. Die meisten der Männer kannte er, wenn nicht namentlich, so zumindest vom flüchtigen Kontakt her. Es waren geistig gesunde Männer, zumindest bisher. Jetzt befanden sie sich in einer Raserei der Selbstverstümmelung, die meisten von ihnen bereits derart zur Krüppeln gestutzt, daß an Zusammenflicken nicht mehr zu denken war. Wohin Boswell auch sah: Überall das gleiche Grauen. Messer im Einsatz gegen Handgelenke und Unterarme, Blut in der Luft wie Regen. Jemand – war es Jesus? – hielt eine seiner Hände zwischen Tür und Türstock und schlug unaufhörlich die Tür gegen sein eigenes Fleisch und Bein zu, kreischte dabei nach jemandem, der ihn daran hindern sollte. Einer der weißen Jungen hatte das Messer des Colonels gefunden und amputierte seine Hand damit. Vor Boswells Augen löste sie sich ab und fiel auf ihren Rücken, ihre Wurzel fransig zerfetzt, und ihre fünf Beine fuhren in der Luft Rad, als sie versuchte, sich in die richtige Lage zu bringen. Sie war nicht tot; sie starb nicht einmal.
    Ein paar wenige gab es, die von diesem Irrsinn nicht befallen waren; sie waren nur das Futter, die armen Schweine. Die Tobsüchtigen kriegten sie in ihre mörderischen Hände und säbelten sie zusammen. Einem – es war Savarino – wurde von einem Burschen, den Boswell nicht mit Namen kannte, der letzte Atem herausgedrosselt; ungläubig starrte der Punker, ganz die bestürzte Unschuld, seine rebellischen Hände an.
    Jemand tauchte aus einem der Schlafräume auf – eine Hand, die nicht die seine war, hielt seine Gurgel umkrallt – und taumelte über den Korridor Richtung Toilette. Es war Macnamara: ein so dünner und so beständig mit Dope vollgestopfter Mann, daß ihn jeder nur die Lächellatte nannte.
    Boswell trat zur Seite, als Macnamara, ein Hilfeflehen herauswürgend, durch die offene Tür wankte und auf dem Toilettenboden zusammenklappte. Verzweifelt wehrte er sich gegen den fünffingrigen Meuchelmörder an seinem Hals und zerrte an ihm, aber ehe Boswell eine Chance hatte, einzugreifen und ihm beizustehen, verlangsamte sich Macnamaras Gegenwehr und hörte dann, samt seinen Einsprüchen, völlig auf.
    Boswell trat von der Leiche weg und warf erneut einen Blick in den Korridor. Mittlerweile blockierten die Toten oder Sterbenden den engen Gang, an manchen Stellen in doppelter Lage, während ebendieselben Hände, die einmal diesen Männern gehört hatten, in wilder Aufregung über die Haufen flitzten und, wo nötig, halfen, eine Amputation zu Ende zu bringen, oder einfach auf den toten Gesichtern tanzten. Als er in die Toilette zurückschaute, hatte gerade eine zweite Hand Macnamara gefunden und sägte, mit einem Federmesser bewaffnet, an seinem Handgelenk. Sie hatte in dem Blut vom Korridor zur Leiche Fingerabdrücke hinterlassen. Boswell stürzte zur Toilettentür, um sie zuzuknallen, bevor der Raum von ihnen wimmelte. Währenddessen stürzte Savarinos Attentäter, der apologetische Punker, den Gang entlang, seine todbringenden Hände führten ihn wie die eines Schlafwandlers.
    »Hilf mir!« kreischte er.
    Boswell schlug dem flehenden Punker die Tür vor der Nase zu und verriegelte sie. Die empörten Hände trommelten Mobilmachung gegen die Tür, während die dicht ans Schlüsselloch gedrückten Lippen des Punkers fortfuhren zu betteln: »Hilf mir. Ich will das nicht tun, Mann, hilf mir.« Hilf dir selber, Arsch, dachte Boswell und versuchte, die Bitten auszublenden, während er seine Alternativen sichtete.
    Etwas war auf seinem Fuß. Er schaute hinunter und wußte, was es war, noch ehe sein Blick darauf stieß. Eine von den Händen, Colonel Christies Linke, die er an der verblaßten Tätowierung erkannte, huschte bereits sein Bein hinauf. Wie ein Kind, dem sich eine Biene auf die Haut setzt, lief Boswell Amok, krümmte und wand sich, als sie ihm den Rumpf hinaufkletterte, war aber zu angstverstört, um zu versuchen, sie sich vom Leib zu reißen. Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, daß die andere Hand, diejenige, die eben noch das Federmesser mit solch munterem Eifer an Macnamara gebraucht hatte, von ihrer Tätigkeit

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