Das 5-Minuten-Grauen
aufrichtete, schaute sie nach links. Sie blickte mich direkt an.
»Geben Sie mir eine ehrliche Antwort. Was stört Sie eigentlich an mir?«
»An Ihnen persönlich stört mich nichts.« Sie hatte das Stirnband gelöst und ließ die Haarflut fließen. »Nur denke ich über Ihre Aktivitäten nach, die mir schon etwas ungewöhnlich vorkommen, wenn ich ehrlich sein will.«
»Ich muß es wissen, John. Ich muß einfach herausfinden, was es mit dem Schlamm auf sich hat und welch ein Geheimnis es in der Vergangenheit der Dora gab?«
»Sie denken an die vier Frauen.«
»Ja, zum Teufel. Sie spielen eine entscheidende Rolle. Sie leben noch, und Dora hat sich bestimmt grundlos von ihnen getrennt. Wenn wir diesen Grund herausfinden, könnten wir der Lösung des Falles ein Stück näher gekommen sein.«
»Sie hätten Polizistin werden können.«
»Danke, mir gefällt mein Job. Was meinen Sie denn dazu?«
Ich gähnte. »Eigentlich gar nichts. Ich habe es gelernt, alles auf mich zukommen zu lassen.«
»Hm«, meinte Rita nach einer Weile. »Auch die Dinge, die wir mit unserem Verstand nicht begreifen können? Ich denke da an gewisse übersinnliche Vorgänge, um es einmal vorsichtig auszudrücken.«
»Genau das.«
»Aber Sie wissen, daß es so etwas gibt.«
»Darauf bin ich spezialisiert.«
»Das muß Dora auch gewußt haben, John.«
Unser Gespräch versickerte. Der Wein hatte uns beide ziemlich schlaftrunken gemacht. Mochte die Fähre noch so stampfen und schlingern, ich schlief trotzdem ein und kam mir dabei vor, als würde ich in ein sehr tiefes Loch fallen.
Vergessen waren die Wellen, das Schiff und auch die lange Nacht, die trotzdem noch einmal unterbrochen wurde, denn irgendwann bewegte sich jemand neben mir und preßte sich dann an mich. Aus den Tiefen stieg ich wieder hoch, öffnete die Augen und sah das Gesicht meiner Kabinenfreundin über mir. »Was ist denn los, Rita?«
»Ich friere.«
Jetzt war ich wacher, bekam einen trockenen Hals und ließ meine Hände über ihre nackte Haut gleiten. »Kein Wunder, daß du frierst, wenn du so wenig anhast.«
»Immerhin den Slip«, flüsterte sie. »Läßt sich das nicht ändern?«
»Und wie«, erwiderte sie.
Ich hörte das Rascheln, und wenig später schaukelten wir im Rhythmus des Schiffes mit, gemeinsam.
Irgendwo muß man ja mal wieder Mensch sein — oder?
***
Auch in London war es Nacht, dunkel und wieder etwas stürmischer geworden, wobei der Wind Massen an Schneeflocken über die Riesenstadt an der Themse trieb. Das machte in der Nacht nicht so viel aus, es störte nur die, die dienstlich unterwegs waren. Wir arbeiten bei jedem Wetter — so hätte auch der Werbeslogan für Scotland Yard heißen können. Es gab eine 24-Stunden-Schicht, und da spielte es keine Rolle, in welcher Abteilung man beschäftigt war. Auch die Labors waren besetzt, denn Analysen und Untersuchungen mußten oftmals zu bestimmten Terminen fertig sein. Dunkel war es nur in den wenigsten Räumen. In dem, wo sich auch der Schlamm befand, brannte eine schwache Notbeleuchtung.
Das Licht verteilte sich trotzdem relativ gut, drang durch die Scheiben des Schranks und erreichte das Gefäß mit dem zerstörten Deckel. Noch hatte der Schlamm seinen weiteren Weg nicht gefunden. Er blieb vorerst im Innern des Glases und hatte ein gelblichrotes Schimmern bekommen, weil das Licht über ihn hinwegglitt. Dieser Schein fing sich an den kleinen Blasen, die auf der Oberfläche lagen und nicht mehr in die Masse hineingedrückt worden waren.
Er lag ruhig, aber in ihm steckte eine Energie, die nicht mehr schlafen wollte.
Wieder bewegte er sich…
Zuerst erzeugte er kleine Wellen, die über die gesamte Fläche liefen, um irgendwann zu zerrinnen. Aber die unerklärliche Kraft ließ sich nicht aufhalten. Aus dem Innern drückte sie hoch und brachte die schwarze Masse in Bewegung. Sie wellte sich hoch und stieg dem in der Mitte zerstörten Deckel entgegen. Kaum hatte der Schlamm seine Innenseite berührt, da sperrte er sich nicht mehr gegen den Druck. Es riß ihn aus dem Gewinde, und der zähe, dunkle Schlamm bekam freie Bahn.
Er quoll hoch, wirkte wie befreit und breitete sich innerhalb weniger Sekunden im Glasschrank aus.
Und er vermehrte sich.
Er war kaum zu fasen, unvorstellbar, aber der Schlam bekam einen derartig raschen Zuwachs, als wären Zellen dabei, sich innerhalb von Sekunden zu verdoppeln, zu vervierfachen und so weiter… Schon bald war der Boden des Schranks bedeckt. Wie gierige Finger kroch
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