Das Aktmodell
Blitz auf. Wie passend!
Der alte Maler lässt sich davon nicht beirren und spricht ohne Unterbrechung weiter. Als ob er diese Geschichte schon hundertmal erzählt hat.
“Er hat die Gabe, Ihnen Jugend und Sexualität zu schenken …”, er macht eine kleine Pause und senkt dann die Stimme, “… wenn Sie bereit sind, den Preis dafür zu zahlen.”
“Welchen Preis, Monsieur?”
“Sie müssen Ihre Seele verkaufen, Mademoiselle.”
Ich hebe eine Augenbraue. “Meine Seele verkaufen?”
“Ja. Dann werden Sie jung und schön sein …”
“Ach kommen Sie …” Der spinnt doch, oder?
“… aber Sie dürfen sich niemals mehr verlieben.”
Nach dieser Geschichte mit David ist das sowieso nicht sehr wahrscheinlich. Aber neugierig bin ich trotzdem. “Was passiert, wenn ich mich doch verliebe?”
“Dann werden Sie sich wieder in ihr altes Selbst zurückverwandeln.”
Mit anderen Worten, ich werde wieder zu einer übergewichtigen Frau mittleren Alters. Nachdenklich lasse ich meine Finger über den, ähm, harten Penis der Statue gleiten. Nach Aussage des Malers steht sie zum Verkauf. Das bringt mich in Versuchung. Kein Kampf der Eitelkeiten mehr? Ein flacher Bauch? Freche Brüste? Was für eine faszinierende Idee das ist, das mit der sexuellen schwarzen Magie. Vögeln bis zum Umfallen …
Aber ist es das wirklich wert, sich der möglichen Peinlichkeit einer Flughafenkontrolle zu stellen? Ich schüttle meinen Kopf. Ich erinnere mich leider noch zu gut an das von anzüglichem Grinsen begleitete Abtasten, als meine Ex-Assistentin – ja, sie und David sind jetzt ein Paar – mir letzten Monat vor meinem Flug nach San Francisco einen Vibrator in Form eines Lippenstifts ins Handgepäck geschmuggelt hatte. So etwas muss ich nicht unbedingt noch einmal erleben.
Lächelnd sage ich dem alten Künstler, dass ich es mir noch mal überlegen werde. Der Alte zuckt mit den Schultern und verschwindet, um nach einem neuen Päckchen Zigaretten zu suchen. Ich schaue mich um, ob sonst noch etwas Ungewöhnliches hier herumliegt. Aber da ist nichts. Ein paar zersprungene Vasen, alte Bücher, eine Tiffanylampe und ein angekohlter roter Topf, der einen seltsamen Geruch verströmt. Nicht unangenehm, nur seltsam. Ich atme tief ein. Koriander, Wein … und ist das Ingwer, was ich da rieche?
Innerhalb weniger Sekunden legt sich ein Schleier über mein Gehirn, als ob die Weingeister sich in meinem Kopf versammelt hätten und ihn als Fass zum Rebenstampfen benutzten. Kommt das von der Flasche
Pinot Noir
, mit der ich die Pommes heruntergespült habe? Oder von dem seltsamen Geruch aus dem Topf? Die Mischung aus Frittierfett und Alkohol scheint mir nicht zu bekommen, und mir wird schwindelig. Meine Knie geben nach, und ich bewege mich wie in Zeitlupe. Ich versuche mich zu konzentrieren, aber alles verschwimmt vor meinen Augen. Was passiert, falls ich ohnmächtig werde? Oder in ein Koma falle? Ohne einen Prinzen, der mich mit einem französischen Kuss wieder aufweckt? Auf keinen Fall werde ich das zulassen! Ich gehe in die Knie, aber ich widerstehe der Versuchung, mich dem Sandmännchen in meinem Kopf hinzugeben und einzuschlafen. Stattdessen greife ich nach dem schwarzen Tuch und versuche wieder ins Gleichgewicht zu kommen als …
Wusch!
Meine Hände schweben in der Luft, als der Samtvorhang über mich fällt und ich fast darunter ersticke. Ich schnappe nach Luft und versuche mich von dem riesigen Fledermausumhang zu befreien, der mich vom Kopf bis zu den Zehenspitzen einhüllt. Lautes Atmen, heiser, panisch, dringt an mein Ohr, die Nackenhaare stehen mir zu Berge. Ich halte den Atem an und lausche. Wer ist das?
Ich atme aus. Verdammt noch mal, das bin ich selbst. Ich höre mich an wie ein Pornostar, der einen Orgasmus vortäuscht. Ich kann mich jetzt entspannen. Ich bin also nicht mit furchterregenden Geistern eingesperrt, die mich mit nächtlichem Stöhnen unterhalten wollen. Aber ich kann meinen Kopf nicht aus diesem Samtumhang befreien. Jedes Mal wenn ich in eine Richtung ziehe, zieht der Umhang in die andere, das macht mich ganz verrückt. Ich muss endlich diese Übelkeit loswerden. Ich konzentriere mich darauf, ganz tief ein- und auszuatmen. Eins, zwei, drei … ich schwöre, dass ich niemals mehr Pommes Frites in Rotwein eintunken werde. Was habe ich mir eigentlich dabei gedacht?
Und dann … höre ich neben meinem lauten Atmen plötzlich noch ein anderes Geräusch. Lachen. Lachen? Ist der alte Maler wieder zurückgekehrt?
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