Jeden Abend, jeden Morgen - immer!
1. KAPITEL
Das Telefongespräch begann wie gewohnt. Stuart ‘Stu’ Paxton rief von seiner Wohnung in New York aus an und erkundigte sich, wie die Dinge auf seiner Ranch in Wyoming liefen. Ungewöhnlich war nur die Antwort seines Ranchverwalters Jake Banyon.
“Ich fürchte, wir haben ein Problem, Stu. Ein fremder Hengst hat sich einen Harem aus unseren Stuten zugelegt. Neulich hat er eine entführt und letzte Nacht gleich zwei weitere.”
“Ein fremder Hengst, Jake? Das verstehe ich nicht.”
“Ich auch nicht”, sagte Jake ziemlich grimmig. “Tatsache ist, ich habe keine Ahnung, woher er kommt oder wem er gehört. Falls er überhaupt jemandem gehört. Er scheint ein Einzelgänger zu sein.”
“Du glaubst doch nicht etwa, dass es ein Wildpferd ist?” Stu klang skeptisch.
“Das könnte durchaus sein, Stu. Aber um ehrlich zu sein, er sieht aus wie ein Rassetier. Allerdings habe ich ihn nur einmal gesehen, und das von Weitem.”
“Und er tauchte einfach aus dem Nichts auf? Ein ausgewachsener Hengst? Jake, der muss doch irgendwo herkommen. Die Ranch liegt so isoliert, er kann nicht von einem Nachbarn herübergelaufen sein.”
“Richtig. Ich habe eine Anzeige mit seiner Beschreibung im
Tamarack-Boten
aufgegeben, aber bis jetzt hat sich kein Eigentümer gemeldet. Inzwischen lasse ich täglich ein paar Männer nach seinem Unterschlupf suchen. Ich möchte die Stuten gern zurückhaben.”
“Und wenn du ihn eingefangen hast, was machst du dann mit ihm?”
“Ich weiß es noch nicht. Erst muss ich ihn mir näher ansehen.” Jake spielte darauf an, dass der Hengst ein Brandzeichen tragen müsste, falls er jemandem gehörte.
Stuart begriff sofort. “Das ist vernünftig. Halt mich auf dem Laufenden.”
“Natürlich”, antwortete Jake und berichtete dann über andere Vorkommnisse auf der weitläufigen Wild-Horse-Ranch, die seit fast einem Jahrhundert im Besitz der Paxtons war.
Stuart fand jedoch nicht denselben Geschmack an Einsamkeit und Viehzucht wie seine Vorfahren und hatte die Ranch gleich nach dem Studium verlassen. Er kam nur zwei-, dreimal im Jahr zu Besuch. Doch obwohl er selbst nicht in Wyoming leben wollte, hatte er sich auch nach dem Tod seines Vaters vor zehn Jahren nicht dazu durchringen können, die Ranch zu verkaufen. Ein paarmal hatte er eine unglückliche Hand bei der Auswahl seiner Verwalter gehabt, doch mittlerweile schätzte er sich überaus glücklich, einem Experten wie Jake Banyon das Ruder überlassen zu können. Obwohl Stuart zwanzig Jahre älter war als Jake, hatten sie in den vier Jahren ihrer Zusammenarbeit eine verlässliche Beziehung entwickelt, geprägt von gegenseitigem Respekt.
“Entschuldige, dass ich unterbreche, Jake, aber ich rufe aus einem bestimmten Grund an. Ich muss dich um einen Gefallen bitten – einen ganz persönlichen.”
Stuart klang besorgt, und das beunruhigte wiederum Jake. Ein gelassenerer, selbstsichererer Mensch als Stuart Paxton war ihm bislang noch nicht begegnet. Und noch nie hatte Stuart ihn um einen ‘persönlichen Gefallen’ gebeten. Jake horchte auf. Für Stuart würde er fast alles tun.
Jake war ebenfalls auf einer Ranch aufgewachsen, doch das war schon alles, was ihre Gemeinsamkeiten betraf. Stuart hatte studiert, sich in der Geschäftswelt einen Namen gemacht und ein Vermögen angehäuft. Jake dagegen hatte sich dermaßen in ein Mädchen aus dem Ort verliebt gehabt, dass er es nicht hatte verlassen wollen, um aufs College zu gehen – sehr zur Enttäuschung seines Vaters. Doch Jake hatte als Cowboy bei ihm gearbeitet und der Hochzeit mit Gloria entgegengefiebert, die im August hatte sein sollen.
Aber als der August kam, gab Gloria ihm den Ring zurück und erklärte, dass sie einen anderen habe. “Tut mir leid”, sagte sie einfach.
Für Jake, der damals neunzehn war, war eine Welt zusammengebrochen. Er liebte ein Mädchen, das ‘einen anderen hatte’, und er konnte nichts dagegen tun. Er fühlte sich schrecklich hilflos, vor allem als Gloria wegzog und niemand ihm ihre neue Adresse geben wollte.
Er fing an, sich hemmungslos treiben zu lassen und hatte eine Frau nach der anderen, bis sein Vater ihn barsch aufforderte, sich endlich zusammenzureißen oder zu gehen. “Du trinkst zu viel, Jake, ich kann mich nicht mehr auf dich verlassen. Such dir einen anderen Job.”
Jahre vergingen. Sein Absturz vollzog sich immer weiter und Jake war fast in der Gosse gelandet, als er sich die Worte seines Vaters endlich zu Herzen nahm und sich
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