Das Alabastergrab (Krimi-Edition)
Uhr früh einberufen worden war, ging in die vierte Stunde. Inzwischen hatte sich auch Fritz Helmreich von der aufgebrachten Stimmung mitreißen lassen und überlegte mit seinen Paddlerkollegen, wie welche Gegenmaßnahmen auf welchen Ebenen durchgeführt werden sollten. Schäden in Höhe von mehreren tausend Euro an Booten und sonstigem Equipment konnte er sich nicht gefallen lassen. Vom Imageverlust für die gerechte Sache gar nicht zu reden. Die Polizei hatte man schon vor längerer Zeit verständigt, aber die war offensichtlich mit anderen Dingen beschäftigt. Die Herren der Bamberger Landpolizei hatten jedenfalls den Weg nach Nedensdorf noch nicht gefunden.
Helmreich war ratlos. Noch wusste niemand, was eigentlich genau los gewesen war. An einen dummen Zufall wollte hier jedenfalls niemand glauben. Trotzdem hatte sich der Bootsverleiher dafür ausgesprochen, erst einmal nicht überstürzt zu handeln, wild in der Gegend herumzuspekulieren und wahllos potenzielle Attentäter auszumachen. Die Polizei sollte erst mal herausfinden, was passiert war, alles andere würde man später sehen. Die meisten seiner Paddlerkollegen vertraten leider eine weniger tolerante Auffassung über das weitere Prozedere.
Josef »Joe« Scheidmantel, ein großer, breitschultriger Bootsverleiher aus Lichtenfels, war außer sich vor Wut. Seit Beginn der Sitzung konnte er nicht an sich halten und fiel so ziemlich jedem Diskutanten ins Wort. Helmreich war schon versucht, ihn des Saals zu verweisen, brachte es aber nicht übers Herz. Schließlich war Joe ein wirklich guter Freund – auch wenn er seine Emotionen manchmal nicht im Griff hatte.
»Des ist doch völlig klar, wer des Hochwasser verbrochen hat!«, brüllte er jetzt schon zum wiederholten Mal quer über den Tisch. »Des war der Rast, des blöde Anglerarschloch!« Seine Freundin Doris, die neben ihm saß, versuchte ihn verzweifelt und vergeblich zu beruhigen. Joe Scheidmantel kam erst so richtig in Fahrt. »Mir sollten alle zu dem hie und dem amal zeigen, wo der Bardel sein Most holt, jawoll. Dem gehört scho lang enne aufs Maul. Und wenn er blöd fracht, warum – gleich noch amal. Dieses drecks Anglerpack muss doch ausgeräuchert und verschwadd werdn. Der Rast, wenn mir noch einmal unter die Augen kommt, den bring ich um. Und dann kann der mich von mir aus verklagen, solang er will.«
Keiner traute sich, über Joes logischen Patzer zu lachen. Zum einen lag der Grund darin, dass Joe Scheidmantel womöglich nicht mehr nach Humor zumute war und man, falls man doch den Fehler beging zu kichern, seinen Zorn verbal sowie körperlich zu spüren bekommen würde. Joe war in dem Bereich nicht gerade zimperlich. Im Juni, am Anfang der Bootssaison, hatte er einen Angler aus Coburg, der ihn vom Ufer aus einen Bootstrottel geheißen hatte, so vermöbelt, dass er nur knapp einer Anzeige wegen Körperverletzung entgangen war. Obwohl ihm sein Ausbruch im Nachhinein ziemlich leidgetan hatte, musste er sich von allen Seiten herbe Kritik anhören. Seinem Freund Fritz Helmreich hatte er zu verdanken, dass er mit einer Entschuldigung und fünfzig Litern Bier davongekommen war. Sein guter Ruf war allerdings ruiniert, und Angler waren in seiner Beliebtheitsskala auf dasselbe Niveau wie Fadenwürmer und Steuererklärungen abgerutscht.
Doch der eigentliche Grund für das betretene Schweigen seiner Tischgenossen war nicht ihre Angst vor körperlicher Züchtigung, sondern die beiden Polizeibeamten, die unbemerkt von Joe Scheidmantel den Raum betreten und sich mit wachsendem Interesse seinen Vortrag angehört hatten.
»Dürften wir Sie in Ihrer großartigen Rede mal kurz stören, Herr Scheidmantel?«, unterbrach ihn der ältere Polizist, der zufälligerweise auch damals die Joe’sche Schlägerei aufgenommen hatte. »Könnten Sie noch einmal wiederholen, warum Sie den lieben Herrn Rast umbringen wollen?« Seine übertrieben liebenswürdige Stimme füllte den ganzen Raum aus, in dem es nun mucksmäuschenstill geworden war. Scheidmantels Joe hingegen schien als Einziger von dem Auftauchen der Beamten unbeeindruckt.
»Weil der Rast a Arschloch is! Deshalb!«, brüllte er dem Polizisten in unverminderter Lautstärke entgegen. »Im Wilden Westen hätt ich den Vollidioten scho längst vom Pferd gschossen!«, deklamierte er weiter. »So Arschlöcher wie der hätten vor hunnert Jahr scho des Zeitliche gsegnet. Da hätt mer net auf die Polizei gewart, da hättn mir des selber nei die Hand genommen!« Hochrot und
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