Das Alabastergrab (Krimi-Edition)
doch offensichtlich«, bettelte er verzweifelt weiter, während sein Blick hilfesuchend zu Big Brother Ruckdeschl schweifte.
»Wer weiß, Lagerfeld«, unterbrach ihn jetzt Haderlein, »vielleicht findet sich im Magen dieses armen Sacks ja nicht nur Mainwasser und Fisch, sondern auch zum Beispiel Sekt, was auf einen Unfall durch Alkoholismus hindeuten könnte …« Der Angesprochene starrte ihn verständnislos an. »So«, wandte der Ermittler sich zum Schluss seiner Rede wieder Ruckdeschl zu, »und jetzt nehmen Sie meinen jungen Kollegen hier mal mit und zeigen ihm, was eine richtige Tatortsicherung ist.« Haderlein war zufrieden mit sich.
»Aber Chef … Siebenstädter kann mich doch eh schon net leiden«, wimmerte Lagerfeld erbarmungswürdig.
»Schluss jetzt mit dem Gejammer. Sie machen gefälligst, was ich Ihnen sage«, herrschte ihn der Ältere an und ließ ihn einfach stehen.
Dann kniete Haderlein sich neben die Leiche und begann die Kleidung des Mannes zu durchsuchen. Alles tropfte, und der Parka des dicklichen Mannes war von der aufgesogenen Feuchtigkeit elend schwer. Der Tote trug grüne Gummistiefel, Amiparka und einen ebenfalls grasgrünen Pullunder über einem braunen Hemd: Er sah schwer nach Angler aus. In den Taschen war für Haderlein jedenfalls nichts zu finden. Kein Taschentuch, Handy oder zumindest ein Notizbuch. In billigen Kriminalromanen wurde so etwas prinzipiell bei allen Leichen gefunden, um den beschleunigten Fortgang der Geschichte zu ermöglichen. Einfach lächerlich! Haderlein schnaubte verächtlich. Diese sogenannten Kriminalautoren hatten von der Wirklichkeit nicht die geringste Ahnung. Im Zeitalter von gentechnischen Nachweisen würde man als Verbrecher nicht weit kommen, wenn man solche Anfängerfehler beging, wie es die fiktionalen Protagonisten ständig taten. Hier sah jedenfalls nichts nach Anfängerei aus. Entweder hatte der Mann nichts dabei – was äußerst unwahrscheinlich war –, oder wer auch immer hatte ihm die Taschen vor seinem Tod gründlich leer geräumt – was schon eher in Betracht kam.
Haderlein erhob sich. Erst mal ging es hier nicht weiter. Sollte doch Lagerfeld während seiner Sonntagsarbeit schauen, ob er etwas rausbekam.
Er wandte sich gerade zum Gehen um, als ein Mitarbeiter der Spusi sich daranmachte, der Leiche die monströsen Gummistiefel auszuziehen.
»Halt!«, rief Haderlein barsch. »Finger weg!«
Erschrocken ließ der Mann das Bein, das er gerade auf Hüfthöhe gehoben hatte, samt Stiefel wieder fallen.
»Hab ich was falsch gemacht?« Er war hörbar verunsichert. »Ich gehe hier doch nur nach …«
»Nein, nein«, beruhigte ihn Haderlein schnell, »es ist nicht wegen Ihnen. Schauen Sie mal lieber hier.« Er kniete sich erneut neben die Leiche, um den rechten Stiefel etwas genauer inspizieren zu können. Irgendetwas befand sich im Schaft und beulte diesen nach außen hin aus. Der Kommissar tastete an der Innenseite des Gummis knapp oberhalb des Knöchels herum. Tatsächlich, er hatte sich nicht geirrt. Da war eine Art Tasche. Klein, aber fein. Ein triumphierendes Lächeln huschte über sein Gesicht. Mit den Fingern der rechten Hand fühlte er am oberen Rand des gummierten Täschchens entlang. Es schien mit einem Klettverschluss gesichert zu sein, der aber nicht aufzubekommen war. Alles war viel zu eng und glitschig. Bei aller beruflichen Neugier, und davon besaß er viel, hatte Haderlein keine Lust, weiter an diesem fürchterlichen Käsefuß herumzumachen. »Jetzt ziehn Sie ihm doch endlich diese Stiefel aus!«, maulte er ungeduldig den eingeschüchterten Spurensicherer an.
Der wollte spontan den Mund zum Protest öffnen, besann sich dann aber eines Besseren. Er wusste, was passieren konnte, wenn man einem ungeduldigen Haderlein widersprach. Er war der fähigste Kriminalbeamte, den die Bamberger Polizei jemals gehabt hatte, lieferte die beste Aufklärungsquote in ganz Bayern und besaß einen so messerscharfen Verstand, dass sein manchmal strenges Sozialverhalten den Kollegen gegenüber notgedrungen toleriert werden musste. Vielleicht hatte das auch nur etwas mit seiner oberbayerischen Herkunft zu tun. Sein Heimatort Aschau im Chiemgau lag in der allertiefsten bayerischen Provinz. So was prägte eben. Wahrscheinlich verfiel er deshalb unter Stress immer leicht der Grantelei. Wie auch immer, wenn sein Gehirn auf Hochtouren lief und er Kollegen anraunzte, war es jedenfalls besser, ihm nicht zu widersprechen. Ansonsten drohten ellenlange
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