Das Alabastergrab (Krimi-Edition)
trotzig, das Kinn energisch und entschlossen nach vorne gereckt, blickte er dem Polizeibeamten ins Gesicht.
Die Spannung war kaum noch zu ertragen. Nicht wenige der Anwesenden hatten bei Joes Antwort erschrocken die Luft angehalten.
Fritz Helmreich war bereits im Begriff, sich zu erheben. »Joe, jetzt hör mal …«, versuchte er seinen Freund vor dem drohenden Unheil zu bewahren. Aber es war zu spät.
»Soso, Herr Scheidmantel, was Sie also nicht sagen«, kommentierte der Polizeibeamte in aller Ruhe seinen Ausbruch. »Das würden Sie also wirklich tun?«
Die Situation wurde immer brenzliger. Der andere Beamte war zur Tür zurückgegangen und versperrte nun mit grimmigem Gesichtsausdruck den Ausgang. Die Blicke der Versammelten flogen hektisch von Polizei zu Joe und zurück. Panik machte sich breit.
Auch Fritz Helmreich war verzweifelt. Joe war im Begriff, sich wieder mal so richtig reinzureiten. Die resolute Strenge und die Unantastbarkeit der Polizeibeamten bedeuteten für ihn nichts, er ließ seiner Wut einfach freien Lauf. Dabei wusste Helmreich, dass es sich bei dem Ausbruch seines Freundes nur um starke Sprüche handelte, die er in einer halben Stunde wieder bereuen würde. Was verhielten sich die Beamten eigentlich so feindselig? Sie waren es doch gewesen, die Anzeige erstattet hatten. Es wäre wirklich besser, wenn Joe endlich mal die Klappe halten würde. Doch dem stand der Sinn nach ganz was anderem.
»Ja, allerdings würde ich des – und zwar mit ausgesprochener Leidenschaft«, beantwortete Joe dem Polizisten völlig unbeeindruckt seine Frage, die im Raum gestanden hatte.
»Nun«, bemerkte der Beamte, der inzwischen breitbeinig vor ihm stand, »nun, Herr Scheidmantel, ich muss Ihnen leider sagen, dass Sie sich diese Mühe sparen können.«
Plötzlich war es kalt in der Gaststube, und selbst in Scheidmantels Gehirn regte sich so etwas wie Unsicherheit, die er aber gleich im Entstehen niederbügelte. Alle Augenpaare starrten wie elektrisiert auf einen Punkt: den Mund des Gesetzeshüters, der auch sogleich den Rest der brisanten Wahrheit verkündete. »Edwin Rast ist heute Morgen tot in Kemmern aufgefunden worden, Herr Scheidmantel. Und so, wie es aussieht, kann man nicht davon ausgehen, dass er friedlich in seinem Bett entschlafen ist.«
Der Kopf von Fritz Helmreich flog herum. »Tot?«, fragte er mit brüchiger Stimme.
»Wie? Tot?«, ließ nun auch Scheidmantel reichlich verunsichert vernehmen. Alle Souveränität und alle Kampfeslust war aus seiner Haltung gewichen.
»Nun, so tot, wie man eben nur tot sein kann«, erwiderte der Polizeibeamte kalt. »Und so, wie sich die Lage hier für mich darstellt, werden wir jetzt mal die Personalien von Ihnen aufnehmen, meine Damen und Herren. Und ganz besonders die von Ihnen, Herr Scheidmantel«, fügte er nach einer kurzen Pause und nicht ohne drohenden Unterton hinzu.
Joe Scheidmantel musste sich setzen. Alle Kraft war aus seinen Beinen gewichen.
*
»Legen Sie beide Beweisstücke sofort wieder hin!« Lagerfeld drehte sich entgeistert um und sah Ernst Ruckdeschl mit hochrotem Kopf auf ihn zustürzen. »Das sind womöglich wichtige Spuren, die Sie da gerade vernichten.«
»Spuren? Aber des lag doch alles schon stundenlang im Main? Da wollen Sie noch Spuren finden? Jetzt wern Sie mal net albern, Ruckdeschl«, fuhr Lagerfeld den Spurensicherer autoritär an.
Ruckdeschl war kurz davor zu platzen. Nicht nur, dass diese Leiche ihm gerade seinen Sonntag versaute, nein, hinzu kam, dass dieser ungehobelte, manierenlose, klugscheißerische Neukommissar ernsthaft versuchte, ihm seinen Job zu erklären. Ihm, Ernst Ruckdeschl. Neunzehn Dienstjahre und damit fast so lange dabei wie Haderlein. Lächerlich. »Sie«, er betonte die Anrede, »würden auf diesen Beweisstücken natürlich nichts finden, Sie aufgeblasener Modezar.« Sein hoch erhobener Zeigefinger schwankte drohend in Lagerfelds Blickfeld hin und her. »Aber vielleicht wird Ihnen irgendwann einer, dem Sie netterweise Ihren Glauben schenken, erklären, dass durch Wasser verschwundene Fingerabdrücke durchaus wiederherzustellen sind. Vielleicht, und nur vielleicht, werden Sie das dann begreifen, Lagerfeld. Das Einzige, was Sie bisher zur Ermittlung beigetragen haben, sind Konfusion, Chaos, Alkohol und verstörte Mitmenschen. Von mir aus machen Sie mit meinen Beweisstücken doch, was Sie wollen, Lagerfeld. Aber kommen Sie in diesem Leben nie wieder, ich wiederhole, nie wieder mit der Bitte ›Können Sie
Weitere Kostenlose Bücher