Das Alabastergrab (Krimi-Edition)
die Form der Haartracht noch die Gestaltung von Sonnenbrillen im Dienst war klar geregelt. Also war Lagerfeld eben Lagerfeld geblieben. Man konnte von ihm halten, was man wollte, im Grunde seines Herzens war er eine Seele von Mensch und ein Tollpatsch. Auch wenn ein Fettnapf nur zu ahnen war, Lagerfeld, so viel war sicher, würde ihn finden und darin versinken. Er fand sogar dort Fettnäpfe, wo für Normalmenschen keine waren. Lagerfeld war der typische Mann fürs Grobe, und wenn’s um fränkische Spezifikationen ging, geradezu unersetzlich. Eigentlich war er ein wirklich guter und engagierter Kriminalbeamter, aber eben manchmal etwas sehr direkt und vor allem sehr fränkisch.
»Dürfte ich mal die Erkenntnisse der Spusi vermelden, wenn’s recht wäre?«, holte eine Stimme Haderlein aus seinen Gedanken zurück.
»Ja natürlich, schießen Sie los«, gab er schleunigst zurück. Vor ihm stand der diensthabende Beamte Ruckdeschl der Abteilung »Big Brother«, wie sie im internen Jargon genannt wurde. Heute war er etwas undezent in Neopren gekleidet, als Accessoires fungierten die typischen Tauchgeräte. Während er die Aluminiumflasche ablegte, wanderte sein ungemütlicher Blick hektisch zwischen ihm und Lagerfeld hin und her. Haderlein vermutete, dass die Spurensicherung die Idee mit dem Sekt nicht gutgeheißen hatte.
»Also, unsere wertvollen Erkenntnisse sind eigentlich ziemlich schnell erzählt, wenn nicht wieder kleinere Festivitäten den Ablauf stören«, krähte er Haderlein angriffslustig entgegen, zog ihn unauffällig, aber bestimmt auf die Seite und bedeutete ihm, direkt am Ufer stehen zu bleiben. »Also«, wiederholte Ruckdeschl seinen schwergewichtigen Satzanfang und fuchtelte mit dem rechten Arm unbestimmt in Richtung Pegelpfeilerleiche, während seine Augen unruhig über die Notizen flogen, die eine knappe DIN-A 4-Seite bedeckten. »Also, die Leiche ist männlich und irgendwas um die fünfundvierzig Jahre alt, würde ich sagen. Todeszeitpunkt würde ich mal auf Mitternacht plus/minus zwei Stunden festlegen. Ohne der Autopsie vorgreifen zu wollen, tippe ich mal zu neunundneunzig Prozent auf Ertrinken.«
»Sakrament, ist der aber schwer!«, wurde er zwischenzeitlich von den restlichen Mannen der Spusi unterbrochen, die mit tatkräftiger Hilfe Lagerfelds die Leiche ins Trockene zogen und sie vorsichtig ins Ufergras betteten.
»Schauen wir uns den Gegenstand Ihrer Untersuchungen doch mal genauer an«, beschloss Haderlein und machte dem Spurensicherer ein Zeichen, ihm zu folgen. Widerwillig schleppte Ruckdeschl sich und seine Tauchausrüstung zwölf Meter weiter, ohne seine wertvollen Notizen wegzustecken. Wohin auch.
»Die Leiche scheint im Prinzip völlig unversehrt zu sein.« Haderlein musterte den leblosen Körper und beugte sich interessiert über den Hinterkopf. »Aber hier ist eine Riesenbeule«, bemerkte er.
»Genau. Von einem stumpfen, runden Gegenstand.« Ruckdeschl setzte einen triumphierenden Blick auf.
»Lagerfeld, kommen Sie doch mal her!«, schnauzte Haderlein jetzt unwirsch seinen jungen Kollegen an, der gerade im Begriff war, sich den letzten Rest der Sektflasche zu Gemüte zu führen. Theatralisch seufzend stellte Lagerfeld die Flasche auf einen Stein zurück und folgte der Aufforderung seines Chefs.
»Also, Lagerfeld, Sie werden sich jetzt weiteren Alkohol im Dienst verkneifen, den Leichnam nachher mit in die Anatomie nach Erlangen begleiten und unserem Lieblingspathologen, Herrn Siebenstädter, bei der Autopsie beiwohnen. Anschließend werden Sie mir einen lückenlosen Bericht über diese Person liefern.« Er deutete mit einem Kopfnicken auf den Toten. »Wie er heißt, wo er wohnt, seine Lieblingsbonbons und wie oft er wo am Tag auf die Toilette ging. Und diese Informationen habe ich komplett – ich wiederhole: komplett – morgen früh um neun Uhr auf meinem Schreibtisch liegen. Haben Sie mich verstanden, Lagerfeld?«
Ernst Ruckdeschl grinste erst Haderlein und dann Lagerfeld hochzufrieden an, der mit offenem Mund dastand, als hätte ihm gerade jemand erklärt, der Weihnachtsmann sei leider nur erfunden.
»Aber heute ist doch Sonntag!« Lagerfeld schaute seinen Chef flehend an, aber Haderlein verharrte in unverminderter Strenge und bewegungslos an seinem Platz und blickte ihn nur unmissverständlich an. »Und wieso der Autopsie beiwohnen, Chef? Ich will mir des net anschauen, wenn der aufgeschnitten wird. Wahrscheinlich werden die da sowieso nix finden. Der is ersoffen, des is
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