Das Alabastergrab
Fall
linksdrehend. Er nahm sich einen Joghurt mit Kirschgeschmack und setzte sich zu
Rosemarie an den Tisch im Wohnzimmer. Routiniert löste er den Aludeckel und hob
den Becher zum Gruß. »Na zdrowje, Büttnerowa!« Dann genoss er den
Sahnejoghurt und wartete.
*
Emil Büttner öffnete die Tür und erschrak. Wie sah es denn hier aus?
»Rosemarie?«, rief er mit Angst in der Stimme. Doch niemand antwortete. Dafür
wurde ihm von hinten ein kalter Gegenstand an den Hinterkopf gepresst, und eine
Stimme sagte: »Und jetzt schön an den Essplatz, du Held.«
Instinktiv hob Emil Büttner die Arme und ging langsam Richtung
Wohnzimmer. Wie hatte er nur so blöd sein können? Jetzt tanzten farbige Punkte
vor seinen Augen, und er machte sich gleich in die Hose vor Angst. Sein
schlimmster Alptraum war Wirklichkeit geworden.
»Arme runter, du Idiot, ich bin doch nicht von der Polizei«, blaffte
die Stimme ihn an.
Ruckartig ließ er sie nach unten fallen. Als er durch den offenen
Türbogen den Tisch sah, traf ihn der Anblick seiner Frau wie ein Keulenschlag.
Er sackte zusammen und übergab sich. Unbarmherzig packte ihn Nikolai an seinen
Haaren und zerrte ihn auf den Stuhl, der gegenüber der Toten stand, und zwang
ihn, sie anzusehen.
Dann stellte er sich hinter sein wehrloses Opfer und drückte ihm den
Schalldämpfer ins Genick. »Wo ist das Buch?«, zischte er ihm ins Ohr.
»Ich weiß es nicht, wirklich!«, heulte Emil auf.
»Aber du weißt, wovon ich rede, oder?«, fragte Nikolai.
Emil Büttner nickte heftig. Er hatte Todesangst.
»Wenn du es nicht hast, Emil, wer hat es dann? Ich habe nämlich
keine Lust mehr, andauernd sinnlos Mobiliar zu durchwühlen, verstehst du?«
Emil Büttner nickte wieder und schaute verzweifelt seine tote
Rosemarie an. »Aber ich hab doch keine Ahnung«, wimmerte er. »Clemens hat es
irgendwo versteckt und niemandem etwas gesagt. Und wenn, dann hätte ich es
sowieso nicht erfahren, denn …«
Die Rechtfertigungsversuche waren das Letzte, was Emil Büttner im
Diesseits noch verrichten konnte. Nikolai hatte genug gehört, und Emil Büttners
Gedanken explodierten in einem bunten Feuerwerk.
Aus-Schussverfahren
Lagerfeld betrat den ihm
schon bekannten Eingangsbereich der HUK -Coburg.
Angemeldet war er diesmal nicht, aber der Pförtner hatte ihm versichert, die
Leiterin der Revisionsabteilung, Ute von Heesen, sei an ihrem Arbeitsplatz
anzutreffen.
In freudiger Erregung war er
bereits ein halbes Stockwerk hochgestiegen, als er innehielt. Seine Miene
verfinsterte sich, und er machte eine Kehrtwendung. Der Pförtner schaute ihn
verwundert an, als er wieder vor ihm stand. »Stimmt irgendetwas nicht, Herr
Kommissar?«
Lagerfeld musterte den
Pförtner von oben bis unten. Die gleiche Größe und auch ungefähr die gleiche
Figur, wunderbar.
»Ich brauche leider Ihre
Schuhe und Ihr Jackett«, forderte er ihn auf.
»Wie bitte?« Der Pförtner
glaubte sich verhört zu haben. »Sie können doch hier nicht so einfach …«
»Ich bin im Dienst, guter
Mann, und das hier ist ein Notfall. Sie wollen doch nicht, dass ich wegen
dieser Lappalie eine Streife herbeordern muss, oder?« Lagerfeld zückte demonstrativ
seinen Ausweis.
»Nein, natürlich nicht«, der
Pförtner war erfolgreich eingeschüchtert.
»Sie bekommen Ihre Klamotten
auch später wieder zurück«, beruhigte ihn Lagerfeld. »Und in der Zwischenzeit
haben Sie bitte auf meine ein Auge.«
Die Jacke passte wie
angegossen, nur die Schuhe waren etwas groß, stellte Lagerfeld fest. Aber den
Zweck, sein äußeres Erscheinungsbild zu harmonisieren, erfüllten sie voll und
ganz. Er ging zwei Stufen auf einmal nehmend wieder die Treppe hinauf, während
der Pförtner der HUK ein Paar
Krokodillederstiefel naserümpfend in die entfernteste Ecke stellte.
Ute von Heesen war indes
nicht in ihrem Büro. Enttäuscht schlenderte Lagerfeld von Zimmer zu Zimmer. Am
letzten Raum war draußen ein kleines Schild mit »H. Graetzke« angebracht, und
drinnen sah der Kommissar ein höchst attraktives, grau bekleidetes Hinterteil
hinter der Schreibtischoberkante hervorragen, welches in Zusammenarbeit mit den
restlichen Körperteilen offensichtlich damit beschäftigt war, die Schubfächer
auszuräumen.
Leise betrat Lagerfeld das
Zimmer und betrachtete fasziniert die kostenlose Darbietung HUK ’scher Büroerotik. Nach ein paar
Momenten wurde es aber sogar ihm peinlich, und er räusperte sich.
Sofort hörte man einen
dumpfen Rumms, eine weibliche Stimme rief laut:
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