Das Alabastergrab
mich
bitte an. So, und jetzt muss ich wieder an die Arbeit.« Und dann fing sie schon
wieder an zu kichern.
Lagerfeld nahm die nackte Informationen zur samstäglichen
Abendgestaltung in seiner Perplexheit zwar wahr, konnte sie aber von der Syntax
her nicht in einen logischen Zusammenhang bringen. Aus seinem Blick sprach ein
großes, deutliches Fragezeichen. Als er sich mit einem schiefen Lächeln
verabschieden wollte, hielt sie ihn wie beim letzten Mal auf und flüsterte ihm
ins Ohr: »Und vergiss nicht, dem armen Pförtner sein Jackett wiederzugeben.«
Mit diesen Worten schloss sie sanft, aber bestimmt die Tür hinter ihm, und
Lagerfeld konnte hören, wie sie sich drinnen noch weiteramüsierte.
Er war wieder im gleichen Kino, wieder im gleichen Film, und wieder
lief ihm die eigene Soße ins Fußbett.
»Ein Wasser?«, fragte ihn die besorgte Sekretärin.
Lagerfeld nickte hilflos.
*
Die Gangolfskirche in Bamberg ist ein spätromanischer Bau aus dem
Jahre 1063 und damit die älteste Kirche in Bamberg. Später wurde sie um etwa
1750 wie andere Kirchen auch barockisiert, sprich mit Stuck und vergoldeten
Putten zugekleistert. Die Besonderheit der Gangolfskirche ist jedoch, dass sie
früher der spirituelle Mittelpunkt eines Kanonikerstifts war. Ein
Kollegiatsstift begriff sich im Prinzip als eine Art klösterliche Gemeinschaft,
die seinerzeit aus jungen Adeligen bestand, die ins Kloster gehen, aber
trotzdem ihren weltlichen Besitz behalten wollten. Mit dem Wissen erklärt sich
auch die nette Bamberger Ansammlung von kleinen Kollegiatsstiftshäusern, in
denen damals keine eigentlichen Mönche, sondern die sogenannten Stiftsherren
wohnten. Im Chorgestühl der Gangolfskirche lässt sich noch heute abzählen, dass
bis zu achtundvierzig Stiftsherren in der Kirche Platz fanden. Aus diesem
historischen Hintergrund heraus erschließt sich auch, warum diese Kirche eine
Nebenkapelle besitzt und einen sogenannten Kreuzgang, eine Art längliche
Wandelhalle, in der die Stiftsherren ihren Gedanken nachhängen konnten.
All dies und noch vieles mehr wurde auch den Jungen des Ottonianums
auf dem Tagesausflug von ihren Lehrkräften erläutert. Nun beschäftigte sich die
Ausflugsgruppe gerade mehr oder weniger intensiv mit dem »schwebenden Jesus«
und seinem »Volto Santo«, dem heiligen Antlitz, in der Nebenkirche. Zuvor hatte
man nach der Begehung des Kreuzgangs und der anschließenden Kapelle die sechs
Seitenaltäre der Kirche besichtigt, die alle verschiedenen Heiligen geweiht
worden waren.
Clemens hatte vom bisherigen Ausflug nicht viel mitgekriegt. Er
kümmerte sich um Peter Nickles, und die CADAS kümmerte sich um ihn. Dem Kleinen ging es hundsmiserabel. Alle spürten, dass
hier eine ganz üble Geschichte ablief. Obwohl sie noch immer nicht kapierten,
was genau los war, wussten die Mitglieder doch, dass sie im Zweifel erst mal
Clemens und Peter unterstützen würden, egal was mit dem Regens war. Der Leiter
des Ottonianums war ihnen nicht mehr geheuer. Stattdessen war allgemeine
Solidarität angesagt.
Lediglich Rast und Graetzke wurden vom solidarischen Geist nicht
ganz eingefangen. Die anderen hatten sie im Verdacht, dass sie die CADAS an den Regens verraten hatten. Ein
absolut unverzeihliches Vergehen, wenn sich die Vermutung bewahrheiten würde.
Verrat schrie nach Rache. Und nun, da sie in der Gangolfskirche in der
Nürnberger Straße unterwegs waren, bot sich endlich Gelegenheit dazu.
Die Führung durch die Kirche neigte sich dem Ende zu, und alles war
bereit zur Weiterfahrt zum Dom. Nur Hubertus Graetzke und Edwin Rast fehlten
noch. Die Lehrkräfte wurden langsam unruhig.
Plötzlich machte einer der Lehrer den Ausflüglern ein Zeichen, zu
schweigen. Dumpfes Klopfen und leise Rufe waren zu hören. Die Lehrkräfte gingen
den Rufen nach und entdeckten die beiden Vermissten schließlich im Kreuzgang
der Stiftskirche hinter dem schmalen Chorgestühl. Rast und Graetzke waren mit
hellbraunem Paketband säuberlich verschnürt und auf die Holzstufen der
Betstühle gelegt worden. Rast war es schließlich gelungen, das Paketklebeband
vom Mund wegzubeißen und um Hilfe zu rufen. Eine Mischung aus Zorn und Panik im
Blick der Delinquenten empfing die Lehrkräfte, als sie die beiden Sträflinge
schließlich befreiten.
Auch wenn die Lehrer nachbohrten, konnten oder wollten die beiden
nach ihrer blamablen Rettung nicht sagen, wer sie da ihrer Freiheit beraubt
hatte. Der allgemeine Anschiss an die Gruppe fiel dementsprechend
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