Das Alabastergrab
Paddlergroßkundgebung und -demonstration in der
Geschichte des Bayerischen Kanuverbands geplant. Die Beteiligung war immens,
die Stimmung war gut und ausgelassen. Mehrere hundert Paddler aller Couleur
hatten in Nedensdorf und am gegenüberliegenden Ufer ihre Lager aufgeschlagen.
Bis zum Wasser standen die Zelte dicht an dicht. Die ersten Feuer brannten bereits,
die eine oder andere Gitarre konnte man auch schon hören, und etliche
Wassersportler waren noch auf dem Fluss unterwegs, um das Spektakel von dort
aus zu betrachten.
Im einzigen Gasthof von Nedensdorf hatten sich die oberen
Zehntausend der Protestbewegung zum konspirativen Treff versammelt. Der Reblitz
lag einhundert Meter den Berg hinauf mitten im Ort, den ansonsten ein eher
beschauliches Treiben mit Einheimischen und ein paar Sommergästen auszeichnete.
Jetzt aber war hier der Teufel los. Die Gaststube platzte fast aus allen
Nähten, wer keinen Stuhl mehr ergattert hatte, musste stehen – und das taten
die meisten. Der Gang zur Toilette erinnerte stark an eine Nahkampfübung der
Bundeswehr, und das Bier floss in Strömen, und zwar nicht nur in der Wirtschaft.
Auch draußen auf dem Hof drängelten sich die Menschen bis zur
Einstiegsstelle hinunter und verlangten nach flüssigem Brot. Der Wirt war
bereits dazu übergegangen, das Bier fässerweise zu verkaufen, um der Lage
einigermaßen Herr zu werden. Die Bierfässer mussten dann über Kopf zum
Flussufer geschleppt werden, weil an ein Durchkommen auf eine andere Art nicht
einmal zu denken war. Das größte Bamberger Volksfest, die Sandkerwa, war ein
Dreck dagegen. Ganz Nedensdorf ähnelte einem Piratentreffen auf einer
Karibikinsel. Die Stimmung musste damals ähnlich gewesen sein.
Im Reblitz saßen die Rädelsführer derweil in trauter Runde
beisammen, um sich auf den morgigen Tag einzustimmen. Beflügelt von der
Woodstockatmosphäre draußen war man drinnen fleißig am Mut- und
Überzeugungantrinken.
Fritz Helmreich, Bootsverleiher aus Kemmern, hielt gerade eine Rede
zur Lage der Paddlernation. Schon leicht beduselt beendete er unter
begeistertem Beifall seinen Vortrag gegen die dunklen Mächte der Fischerei um
den finsteren Rast und gab anschließend den Abend zur freien Gestaltung frei.
Was nichts weiter hieß, als dass der Bierkonsum sich noch etwas beschleunigte,
sofern dies überhaupt noch möglich war. Der Zapfhahn des Wirtes glühte genauso
wie die Augen des Brauereibesitzers. Der Reblitz machte in einer Nacht so viel
Umsatz wie sonst im ganzen Sommer.
»Du, Fritz, sach amal«, wurde Helmreich von der rechten Seite
angesprochen. »Du, Fritz, sach amal: Maanst du, die wollen des Bootfahrn aufm
obera Maa echt verbieten? Jetzt, wo mer doch alle Aastiegsstelln gemacht ham?
Bloß wecha dem Rast sei Spinnerei.«
»Naaa. Jetzt mach dir amal kaan Stress«, beruhigte ihn der
Bootsverleiher.
»Wenn die morchen sehn, was aufm Maa los is, dann wern die sich des
gleich zwaamol überlechen, was se da machen. Und der Rast tut, glaab ich,
schlimmer, als wie er is. Des is a großer Dampfplauderer vorm Herrn. Prost, und
jetzt trinke mer noch a Seidla!«
Helmreich war sich sicher, dass die ganze Geschichte in ihrem Sinne
ausgehen würde. Als ortsansässiger Bootsverleiher hatte ihn das Schicksal in
die Gegenspielerrolle der Angler hineinmanövriert. Trotzdem hatte er immer
wieder versucht, beschwichtigend auf seine Partei einzuwirken, was jedoch
einfacher gesagt als getan war. Die Fischerei war ein straff durchorganisierter
Verband, der sich bis hinunter in den kleinsten Angelverein erstreckte. Da
herrschten noch deutsche Zucht und Detailkenntnis. Die Bootsfahrer hingegen
glichen einem chaotischen Hühnerhaufen. Als junge Sportart waren sie
dementsprechend schlecht organisiert und, was Lobbyarbeit anbelangte, völlig
unbedarft. Das musste man erst lernen, aber Helmreich war auf einem guten Weg.
Immerhin war sein Vater Bürgermeister von Kemmern gewesen, und als
Heranwachsender hatte er mit großem Interesse die Klüngel und Abmachungen in
der Heimlichkeit des Helmreich’schen Wohnzimmers mitverfolgt. Nach dem Willen
seines Vaters hätte er Lehrer werden und in der Politik mitarbeiten sollen.
Dafür wäre jedoch der CSU -Beitritt
unausweichlich gewesen wäre, und so weit ging die Vaterliebe dann doch nicht.
Dann eben keine Politikerkarriere. Denn in Franken war man seit jeher entweder
in der CSU oder in der Opposition.
Entweder man arrangierte sich und akzeptierte die faktische Monarchie im
größten
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