Das Alabastergrab
Flussmeister Goppert
hängte seinen linken Schuh über die blinkende Warnlampe und entschied
selbstverantwortlich, die Angelegenheit auf den nächsten Tag zu verlegen.
Verarschen konnte er sich schließlich auch selber. Leise schimpfend setzte er
sich wieder bequem auf seinen Stuhl und suchte in seinem spannenden
Kriminalroman nach der Seite, auf der ihn das blinkende Licht unterbrochen
hatte.
*
Den Williams noch, und dann ist aber wirklich Schluss, mahnte sich
Franz Haderlein in einem Anflug von Selbstdisziplin. Sprach’s, ließ langsam,
aber konsequent die Aromen und den Alkohol seine Geschmacksnerven beglücken und
erhob sich. »Komm, Riemenschneider, wir gehen«, sagte er zu dem kleinen Ferkel,
das neben seiner Bank vor sich hin gedöst hatte. »Es wird Zeit.«
Riemenschneider grunzte verschlafen etwas Unverständliches vor sich
hin und erhob sich unbeholfen. Haderlein nahm die Leine und verließ leicht
schwankend, aber im Geiste zielstrebig den Greifenklau-Keller, seines Zeichens
Biergarten seines Vertrauens. Als er noch studiert hatte, war er um diese Zeit
erst richtig zu Hochform aufgelaufen, aber damit war es nun vorbei. Aus dem
Hasardeur von damals war ein Genussmensch geworden, und außerdem musste
Riemenschneider allmählich ins Bett. Schließlich war sie noch minderjährig. Bis
zu seiner Wohnstatt in der Judenstraße waren es nur noch wenige Schritte. Ein
perfekter Abend näherte sich seinem Ende. Auch Riemenschneider machte einen
durchaus zufriedenen Eindruck, der sicher auch daher rührte, dass für sie wie
meistens bei solchen Gelegenheiten eine Tasse voll Rauchbier abgefallen war. So
ein Schwein ist schließlich ein Allesfresser, dachte Haderlein jedes Mal, und
Riemenschneider war mit den Schlüssen, die er daraus zog, durchaus
einverstanden.
Als die Haustür ins Schloss gefallen war, rollte sich
Riemenschneider im Eingang auf ihrem Teppich zusammen, und der Hauptkommissar
strich ihr kurz über die rosa Ohren.
»Gute Nacht, Große«, murmelte er noch, bevor er selbst sein Bett
aufsuchte. Was für ein wunderbarer Tag war das gewesen. Wenn’s nach ihm ginge,
könnte der Sommer so bleiben. Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief die
Belegschaft der Judenstraße 4 ein.
*
Das Boot kam näher, und Edwin Rasts Wut war noch nicht verraucht.
»Kommt nur her, wenn ihr den Mut habt. Ich hab’s ja immer gewusst, dass man
euch nicht trauen kann, ihr Paddelpack!«, belferte er dem herannahenden Bug
entgegen.
Das Boot stoppte direkt vor seinem Gesicht und ging längsseits. Der
sich auf Rasts Dreiviertelglatze spiegelnde Mond warf Lichtvariationen auf die
kleine Wasserfläche zwischen Boot und Pegelpfeiler. Der Frontmann des Kanus
beugte sich vorwärts und schaute Rast ausdruckslos an.
»Du? Was … Was soll das?« Rasts Verblüffung war unbeschreiblich.
»Was macht ihr hier? Binde mich sofort los, verdammt!«
Aber das Gesicht grinste nur breit. »Keine Panik, Fischerkönig. Wir
hatten nur was vergessen.« Und damit kleisterte der Mann dem völlig
verdatterten Guru der Anglerzunft einen silbernen Klebestreifen über den
offenen Mund.
»Das war’s. Und jetzt nix wie weg«, kam die ruhige Anweisung aus dem
hinteren Teil des Bootes. Wenige Sekunden später verschwand das Kanu lautlos in
der Dunkelheit.
Verzweifelt stierte Edwin Rast dem letzten Eindruck des Bootes noch
mehrere Minuten hinterher. Er konnte es einfach nicht glauben. Er hatte ja mit
vielem gerechnet, aber damit nicht. Außerdem beschlich ihn langsam das Gefühl,
den Pfeiler hinunterzurutschen. Oder aber das Wasser stieg, doch das war
eigentlich unmöglich, schließlich führte der Main Niedrigwasser, und es hatte
seit zwei Monaten keinen Niederschlag mehr gegeben.
*
Das Notfalltelefon unterbrach seinen Lesefluss. Goppert hob den
Blick aus seinem Buch und betrachtete es skeptisch. Dann die Decke, dann seine
Fingernägel. Entweder würde er jetzt rangehen und somit das Spiel mitspielen,
oder er hätte zu beschließen, nicht da zu sein. In zwanzig Minuten wäre er
sowieso weg. Aber dann hatten sie ihn am Haken.
Na gut. Wie die Herren Kollegen es wünschten. Er biss die Zähne
zusammen und klappte das Buch zu. Dann nahm er seinen Schuh von der Warnlampe,
die immer noch blinkte, und sah spaßeshalber nochmals auf den Pegelstand. Er
musste lachen: drei Meter zehn über Normalstand. Jetzt übertrieben sie es aber!
Schmunzelnd hob er endlich ab. »Wasserwirtschaftsamt Kronach, Flussmeister
Goppert«, säuselte er so korrekt wie möglich in den
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