Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Alabastergrab

Titel: Das Alabastergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
Vom Netzwerk:
Uhr an seiner Lieblingsstelle am Main. So viel hatte
Lagerfeld immerhin von der zugeknöpften Gesellschaft am Eingang des
Campingplatzes herausgefunden. Aber irgendwie sprachen die alle einen ziemlich
strengen Dialekt. Nürnberger waren das auf jeden Fall nicht, da war er sich
sicher. War ja auch egal. Fest stand, dass sie nicht erfreut über sein
Auftauchen gewesen waren.
    Lagerfeld kannte die Sorte von Mensch gut. Sein Onkel hatte früher
auch geangelt und ihn als Kind häufig mitgenommen. Die anfängliche Begeisterung
war meist nach Tagen ohne Fang verflogen, doch er wusste immer noch, dass es
nicht gut war, einen angelnden Mitmenschen einfach mit seiner Anwesenheit zu
überfallen. Der Angler an sich war lieber allein mit sich, seinem Wasser und
den Fischen. Also beschloss der Kommissar, vorsichtig zu sein.
    Die letzten hundert Meter musste er sich allein durch das Gebüsch
des dicht bewachsenen Mainufers schlagen, weil der Überlebenskämpfer an seiner
Seite wortlos in eine Richtung gezeigt und sich dann umgedreht und getrollt
hatte.
    Vorsichtig bog er die Zweige der Haselnussbüsche mit beiden Händen
auseinander. Vielleicht konnte er ja etwas erkennen. Unter einer überhängenden
Erle sah er einen Pick-up, auf dessen heruntergeklappter Ladekante ein
dicklicher Mann mit Gummistiefeln hockte. Zu seinen Füßen lag eine Art Hund.
Irgendeine wilde Mischung. Seine Erscheinung war genauso obskur wie die seines
Herrchens. Mit den in alle Richtungen abstehenden Haaren wirkte das Vieh so
adrett wie ein explodierter Handbesen. Rings um die beiden herum war eine
Batterie von mindestens elf Angelruten aufgebaut, jede auf eine Art Erdgabel
aufgebockt. Lagerfeld betrachtete das Bild, das sich ihm bot, dachte nach und
entschied, dass es besser sei, sich aus einiger Entfernung anzumelden.
    Er räusperte sich. Keine Reaktion. Er räusperte sich nochmals,
diesmal deutlich lauter. Wieder nichts. Das war doch unmöglich! Vielleicht
schlief Graetzke ja und träumte von zehn Meter langen Hechten? Aber irgendwann
war es auch mit Lagerfelds Vorsicht vorbei. Schließlich tickte seine Uhr
unerbittlich, und er hatte nicht vor, wegen so einem Anglerheini die Nacht mit
menschlichen Innereien verbringen zu müssen.
    »Hubertus Graetzke?«, knallte er seine Frage nun unerbittlich in die
verträumte Stimmung des Mainufers.
    Schlagartig flog die Hand des dicklichen Mannes in abwehrender Geste
nach oben, ansonsten bewegte er sich nicht. Die Promenadenmischung sprang auf
und knurrte Lagerfeld an.
    »Ruhe«, zischte Hubertus Graetzke in drohendem Ton Richtung
Wasserfläche. Sofort duckte sich der Köter und winselte erbärmlich. »Beim
Angeln wird nichts geredet. Und das gilt für Männer wie für Frauen. Besonders
die Weiber müssen dabei ja immer reden und Geräusche machen.« Der Vierbeiner
bellte zustimmend, bekam aber selbst dafür noch einen Tritt in den
Allerwertesten verpasst.
    »Äh, ja, das mag schon sein«, räusperte sich Lagerfeld nochmals und
beäugte den Hund jetzt mitleidig. »Ich wollte wirklich nicht …«
    »Wissen Sie, ich kenne das von meiner Frau«, fuhr Graetzke
unbeeindruckt fort. »Die muss auch dauernd reden. Gut, ich hab einsehen müssen,
dass man bei seiner Frau Geräusche akzeptieren muss, aber nicht beim Angeln!
Aber das wird meine Frau nie kapieren. Sie wird nie eine Beziehung zum Angeln
entwickeln.«
    Lagerfeld hatte keine Ahnung, was er getan hatte, um dieses
Gesprächsthema zu verdienen, aber bitte. Wahrscheinlich war es das Klügste,
sich erst mal auf das Spiel einzulassen und ihm nicht zu widersprechen.
    »Was ist denn mit Ihrer Frau?«, heuchelte er Interesse, konnte sich
aber nicht verkneifen, wieder auf seine Uhr zu schauen.
    Doch die Frage war ein Fehler gewesen. Binnen Sekunden verkrampfte
sich Graetzkes Körper. »Die will immer bloß über unsere Beziehung reden. Aber
eigentlich brauch ich doch gar keine Beziehung. Ich hab ja einen Angelschein.
Eine Beziehung zu so einem Fisch ist zum Beispiel viel einfacher als die mit
einer Frau. Zum Fisch ist das Verhältnis ganz klar definiert. Mit so einem
Fisch, mit dem kann ich umgehen – und der macht vor allem auch keine
Geräusche.«
    Lagerfeld kam die Galle hoch. Der Typ war ja vollkommen
durchgeknallt. Aber er hatte keine Möglichkeit, den Angler zu unterbrechen,
denn Graetzke ereiferte sich weiter. »So ein Fisch, der braucht ja auch fast
nix. Keine Klamotten. Keinen Friseur, und der friert auch nicht dauernd. Nicht
mal im Winter. Gut, es soll ja auch

Weitere Kostenlose Bücher