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Das Alabastergrab

Titel: Das Alabastergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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immer zu Erstbegehungen mitnahm,
hatte er aus dem Auto geholt und sich lässig über eine Schulter gehängt. Der
Hauptkommissar blickte sich in der Wohnung um und hatte den spontanen Eindruck,
in der Zeitrechnung ein Jahrhundert zurückversetzt worden zu sein. Die Zimmer
waren wie ein Spitzweg-Gemälde aus dem Museum in Schweinfurt eingerichtet, das
er vor längerer Zeit besucht hatte.
    Der museale Charakter der Möblierung setzte sich denn auch im
Schlafzimmer und sogar im Bad fort. Das Ganze wurde mit Dutzenden von
präparierten Fischen jeder Größenklasse garniert. An den Wänden hingen etliche
Urkunden, Preise und Zeitungsartikel. Trotzdem war alles penibel aufgeräumt und
in außerordentlich sauberem Zustand. Der Traum einer jeden Reinigungskraft.
Obwohl die Möbel alt waren, machten sie in keinster Weise einen schmuddeligen
oder verwahrlosten Eindruck. Im Gegenteil. Eine mit Sagrotan gereinigte
Wohneinheit aus einer vergangenen Epoche. Unglaublich. Die Spusi würde hier
wahrscheinlich außer Schleifspuren von der Staubsaugerdüse nichts finden.
    Im Arbeitszimmer stand ein großer, mächtiger Schreibtisch, der die
Quadratur der Zimmergrundfläche quer stehend durchbrach. Darauf befand sich
eine grünglasige, niedrige Lampe, wie man sie aus Büros der ehemaligen
Wallstreet-Makler kannte. Eine kleine Schale mit Stiften und einer Schere stand
daneben, sonst nichts. Hinter dem Tisch gab es einen hölzernen Stuhl mit einer
ziemlich hohen Rückenlehne, der ebenfalls dem Jugendstil entsprungen sein
musste. Alle Schubfächer und Fächer des Schreibtischs waren leer. Ein
Bücherregal zierte die Wand, und grauenhafte grüne Vorhänge versperrten den
Blick aus dem Fenster. Alles sah geleckt aus. Nicht die Spur von einer Spur.
Haderlein lehnte sich im Schreibtischstuhl zurück und betrachtete verzweifelt
den Raum. Er war überzeugt, dass es hier etwas zu finden gab.
    »Gib mir ein Zeichen, Edwin«, murmelte er leise.
    »Alles in Ordnung bei Ihnen, Herr Kommissar?«, rief besorgt einer
der Streifenpolizisten, die sich draußen die Beine in den Bauch standen.
    »Ja, danke der Nachfrage«, gab er schnell zurück und streckte die
Füße aus, um in stiller Resignation die Decke zu beäugen. Da spürte er einen
leichten Widerstand am Fuß. Unter dem Schreibtisch klapperte es metallisch.
Überrascht beugte er sich unter die Tischplatte und sah im Halbdunkel etwas
Helles, Geflochtenes schimmern. Er griff kurz entschlossen zu und förderte
einen kleinen Papierkorb aus silbernem Draht zutage, der von zerknülltem
Zeitungspapier fast schon überquoll. In Haderleins Blutbahn regte sich das
Adrenalin. Die supersaubere Wohnung eines Ordnungsfetischisten passte so gar
nicht zu dem zerknüllten Zeitungspapier. Schnell schüttete er den kompletten
Inhalt auf die Schreibtischplatte und stellte den Papierkorb wieder an seinen
Platz. Dann glättete er die Zeitungsseiten und legte sie übereinander.
    »Hab ich’s doch gewusst«, murmelte er zufrieden und betrachtete
anschließend den Papierstapel. »Aber was fang ich jetzt damit an?« Die Seiten
ließen sich nicht mehr plan aufeinanderlegen, sodass das Licht, das trotz der
Vorhänge noch durch das Fenster drang, sie fast durchscheinend wirken ließ. Es
waren alles unterschiedliche Zeitungen. Haderlein konnte auf den Kopfzeilen
Namen wie »Mainpost«, »Nürnberger Nachrichten« oder »Coburger Neue Presse«
erkennen. Das wirklich Merkwürdige war aber vor allem die Tatsache, dass in jedem
Blatt ein großes Loch klaffte. Jemand hatte aus jeder Seite einen großen
Artikel ausgeschnitten.
    Haderlein ließ sich in den Stuhl zurückfallen und ging für einen
Moment in sich. Dann faltete er die Zeitungen zusammen, sprang auf und
deponierte sie in seinem kleinen Rucksack, den er anschließend einem der beiden
Streifenpolizisten in die Hand drückte. Sie sollten die Wohnung versiegeln und
anschließend den Rucksack samt Inhalt aufs Präsidium bringen.
    Dann griff er zum Handy und wählte seine wichtigste dienstliche
Nummer. »Honeypenny, da kommen gleich zwei von der Streife und bringen meinen
Rucksack vorbei. Bitte bewahren Sie ihn sorgsam für mich auf, das sind wichtige
Beweismittel … Nein, Honeypenny, ich komme nicht auf die Dienststelle, ich
fahre jetzt nach Nedensdorf und werde dort ein paar Paddler befragen.«
    *
    Lagerfeld stieg mit Fritz Lohneis die Treppe der Triebwerksanlage
hinunter und folgte ihm zum Steuerungskasten.
    »So, jetzt schaun Se sich des amal an, Herr Kommissar. Wenn des

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