Das Alabastergrab
Haderlein hatte sich Riemenschneider unter den Arm
geklemmt und stützte mit dem anderen den lädierten Lagerfeld. Plötzlich hörte
man von oben, wie jemand mit einem Rumms gegen die Bürotür lief. Haderlein und
Lagerfeld blickten erstaunt nach oben. Sekunden später erschien Fidibus und
hielt sich seine Nase.
»Hadernein, das nabe ich nanz vernessen. Was is einentlich nei ner
Obdunktion henausnekommen?«, näselte er und befühlte sein gerötetes
Geruchsorgan.
Lagerfeld zuckte schuldbewusst zusammen, sodass ihm der Eisbeutel
vom Kopf fiel.
»Noch nichts, Chef«, rief Haderlein zurück »Gibt’s morgen im Laufe
des Tages. Kommissar Schmitt muss sich erst mal ausschlafen.« Lagerfeld stöhnte
erleichtert, und Haderlein zwinkerte ihm verschwörerisch zu.
*
Graetzke beendete das Telefonat und klappte sein Handy zusammen.
Sekunden später öffnete sich die Tür, und er wurde eingelassen.
»Der hässliche Köter bleibt aber draußen«, befahl eine Stimme aus
dem Halbdunkel des Flurs, und Graetzke band seinen Hund hektisch an die kleine
Laterne neben dem Tor. »Platz!«, kommandierte er. Der Hund folgte sofort und
ohne Widerrede dem Kommando. Er wusste, was ihm blühte, wenn er seinem Herrchen
nicht gehorchte.
Graetzke folgte dem Mann durch den Garten bis in den Raum, in dem
sie sich schon häufiger getroffen hatten. Hier waren sie absolut sicher. Er
lehnte sich an einen Glaskasten, ohne sich um dessen obskuren Inhalt zu
scheren.
»Sie sehen so aus, als könnten Sie was zu trinken gebrauchen, was,
Graetzke? Ein Bier?« Der Angler nahm dankend an und leerte den halben Krug in
einem Zug. »Also, was ist los mit Ihnen, verdammt? Sieht ganz so aus, als
hätten Sie ein wenig zu eigenmächtig gehandelt. Und erzählen Sie mir bloß
nicht, dass das nicht Sie waren!« Die Stimme hatte einen äußerst verärgerten
Tonfall angenommen.
»Doch, natürlich bin ich das gewesen«, antwortete Graetzke trotzig.
»Irgendjemand musste ja schließlich was unternehmen, oder? Ihr anderen sitzt ja
hier rum und dreht Däumchen! Wozu bin ich denn gelernter Elektriker!«
»Ach so, aber was jetzt passiert, ist natürlich viel besser als das,
was vorher war, oder wie? Mensch, Graetzke, schon morgen wäre alles in Butter
gewesen, und jeder hätte bekommen, was er wollte. Aber dann müssen Sie Ihr
Testosteron loswerden, verdammte Scheiße. Das werden Sie jetzt gefälligst
selbst ausbaden, Sie Idiot. Da kann Ihnen niemand bei helfen.«
Graetzkes Blick begann unheilvoll zu flackern. »Einen Scheiß werde
ich tun. Sie haben mich doch erst in diese Lage gebracht! Was kann ich denn
dafür, wenn Ihr Plan nicht funktioniert. Sie wollten doch schon längst fertig
sein«, bellte er und kippte gierig den Rest seines Bieres hinunter. »Überhaupt
hab ich langsam die Nase voll. Ich werde ganz bestimmt nicht den Sündenbock in
der ganzen Angelegenheit spielen«, ereiferte er sich, und sein Gesicht begann
sich zu verfärben. Eine unbändige Wut keimte in ihm auf. »Sie haben doch
gesagt, dass alles nach Plan abgewickelt wird. Aber dann folgt Verzögerung auf
Verzögerung, und schließlich passiert überhaupt nichts mehr. Das kenn ich doch.
Aber so kann man keinen Krieg gewinnen! Und eins sag ich Ihnen: Alles, was Rast
wusste, weiß ich auch. Und dass es noch mehr Mitwisser gibt, ist Ihnen
hoffentlich auch klar. Also, kommen Sie bloß nicht auf dumme Gedanken.«
Graetzke hatte keine Angst mehr. Im Gegenteil. Er fühlte sich stark und überlegen.
Das wertvolle Wissen war jetzt auf mehrere Personen verteilt. Und jede von
ihnen konnte mit diesem Geheimnis ein kleines Erdbeben auslösen. Was wollte
eigentlich diese lächerliche Figur da vor ihm? Ha, er war stark, er war groß,
und er würde jetzt … Plötzlich merkte er, dass etwas nicht stimmte. Sein Herz
raste, und sein Blick verschwamm. Er hatte das Gefühl, als würden seine
Augäpfel aus ihren Höhlen treten und der Brustkorb sich ausdehnen.
Um sich zu sammeln, fixierte er den Boden seines leeren Krugs. Sein
Kopf vibrierte vor Schmerz. Was war denn das für eine bräunliche Verfärbung?
Nein, das würde er doch nicht wagen, oder? Brüllend warf er den Bierkrug nach
seinem Gegenüber, traf aber nur eine an der Wand hängende Holzmaske, die
splitternd zerbrach und zusammen mit den Bierkrugscherben zu Boden krachte.
Graetzke fiel auf die Knie. Sein Puls raste immer schneller, sein Kopf fühlte
sich an wie eine Blechtrommel.
Er bemerkte, wie sein Pendant auf ihn zukam, sich zu ihm bückte und
ihm in die
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