Das Alabastergrab
um ein Vielfaches einfacher ist, am bewegungslosen Leichnam ein
Karzinom zu diagnostizieren als bei einem lebenden Menschen, der sich
tendenziell doch eher widerwillig aus Inspektionsgründen aufschneiden lässt.
Pathologen, so wurde Haderlein instruiert, waren im Grunde ihres Herzens
Klugscheißer und Dummschwätzer. Die gleiche Gattung Mensch wie Theaterkritiker.
Wer es nicht auf die echte Bühne geschafft hatte, musste wenigstens von unten
den Hauptdarstellern noch ein wenig in die Waden beißen. Und zumindest in Bezug
auf Professor Siebenstädter konnte Haderlein dieser Theorie voll und ganz
zustimmen.
»Siebenstädter, ich habe im Moment wirklich keine Zeit für Ihre
Spielchen«, blaffte er in Richtung Erlangen zurück. »Aber meiner Meinung nach
wurde der Mann zuerst niedergeschlagen, anschließend an einen Betonpfeiler
gefesselt und ist dann ertrunken. Entspricht das ungefähr Ihren
Obduktionsergebnissen?«
»Nun ja, damit haben Sie gerade ein Paradebeispiel für die typisch
laienhafte Darstellung eines fachfremden Polizistenhirnes geliefert«, kam es
aus der Muschel zurück.
Dieser blasierte Affe!, kochte Haderlein innerlich vor sich hin. Nur
weil er eine Koryphäe auf seinem Gebiet war, glaubte er, er könne sich hier
aufblasen? Von wegen. »Ich hab’s wirklich eilig, Herr Professor«, entgegnete
er, ohne den unwilligen Ton seiner Stimme zu kaschieren.
»Also, also, Herr Haderlein, immer Eile mit Weile.« Siebenstädter
lachte eingebildet. »Aber nun zum Ergebnis. Fachlich korrekt konnte ich
Folgendes feststellen: Der Tote hat ein schaumiges, rötliches Extrudat in
seiner Lunge sowie Strangulationsmerkmale mit petechialen Einblutungen im
Gewebe. Dazu kommt ein größeres Ödem am Hinterkopf – und zwar prae mortem. Bei
der Thoraxöffnung und der folgenden Organentnahme konnte ich keinerlei
Anomalien irgendwelcher Art entdecken. Auch die Öffnung der Schädeldecke und
die Punktierung der Blase ergaben ein negatives Ergebnis.«
»Sehr schön, Herr Professor«, unterbrach ihn Haderlein in seinem
Monolog. »Und was heißt das jetzt, was ist Ihrer geschätzten Meinung nach die
Todesursache?«
Professor Siebenstädter reagierte wie immer unbeeindruckt. »Nun, wie
Sie in Ihrer kriminologischen Einfalt schon vermutet haben, mein geschätzter
Herr Haderlein, wurde der Tote meines Erachtens zuerst niedergeschlagen, dann
irgendwo festgebunden und ist wenig später ertrunken. Noch Fragen?«
Wortlos legte der Hauptkommissar auf.
Irgendwann nach seiner Pensionierung würde er Siebenstädter zum
Essen einladen, sich mit ihm unterhalten, ja sogar unbefangen mit ihm scherzen,
bevor er dann mit großer Befriedigung zusehen würde, wie dieser das mit
Blausäure getränkte Dessert verspeiste. Ja, irgendwann …
»Chef, ich hab da was für Sie«, unterbrach ihn Cesar Huppendorfer in
seinen Träumereien und wedelte mit einem Computerausdruck herum. Haderlein ging
zu seinem Kollegen hinüber, der mit seinem Bericht schon loslegte: »Das hier
ist die genaue Adresse von diesem Kloster Kreuzberg. Das liegt in Bayern ganz
im Norden, schon fast an der hessischen Grenze. Die Brüder gehören zu den
Franziskanern und sind anscheinend ziemlich geschäftstüchtig. Die Wallfahrer
wallen dort vordringlich nicht zum Beten hin, sondern zum Genuss des
vorzüglichen Bieres, das dort ausgeschenkt wird.« Der Computerfreak grinste
breit. »Der Leiter dort ist ein Abt namens Anselm, und das Provinzialat liegt
in der Sankt-Anna-Straße in München. Dann hab ich noch in Nürnberg bei den IT -Spezialisten wegen der
Datenwiederherstellung angerufen und folgende Auskunft gekriegt: Das Handy an
sich ist hin.«
»Schade«, entfuhr es Haderlein.
»Aber«, ergänzte Huppendorfer lächelnd, »ein paar Datenblöcke auf
dem Flash-Speicher scheinen noch lesbar zu sein. Sie sagen, das Wasser wäre
dabei gar nicht so das Problem gewesen, sondern eher die Zersetzungen der SIM -Karte durch die Buttersäure.«
»Buttersäure? Was denn für Buttersäure?«, nuschelte Haderlein
halblaut vor sich hin.
Huppendorfer grinste wissend. »Buttersäure ist der Hauptbestandteil
von Schweiß. Der Käsefuß vom Opfer, Sie wissen doch«, fügte er erklärend hinzu.
»Dieser Rast muss ganz schön geschwitzt haben. Das Silikon auf der SIM -Karte ist zwar größtenteils noch
vorhanden, da die Datensicherung aber kompliziert ist, wird sich das Ganze noch
eine Weile hinziehen. Aber die Kollegen in Nürnberg haben was von
Telefonnummern und einer Sounddatei erzählt.
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