Das Alabastergrab
Lagerfeld war verwirrt. Weinte sie?
Das hatte er nicht gewollt. Warum brach sie jetzt so zusammen, um Himmels
willen?
»Entschuldigen Sie«, stotterte er verzweifelt, »ich wollte Sie
wirklich nicht …« Aber bevor er seinen Satz zu Ende bringen konnte, hob Ute von
Heesen schon wieder ihren Kopf, und er konnte sehen, dass sie aufs Äußerste
erheitert war. Es kullerte ihr sogar eine kleine Lachträne aus dem Auge.
Lagerfeld war zwar erleichtert, aber auch verwirrt. Blitzschnell setzte er
seine Sonnenbrille wieder auf. Sicher war sicher.
Frau von Heesen kramte in ihrer Handtasche, holte etwas heraus und
kam damit auf Lagerfeld zu. Dem jungen Beamten war nun wirklich nicht mehr wohl
in seiner Haut. Das hatte er ja mal glänzend versaut. Hoffentlich endete die
ganze Chose nicht in einer Dienstaufsichtsbeschwerde bei Fidibus. Der fand so
was mit Sicherheit gar nicht lustig. Das Objekt seiner Bewunderung stand nun
direkt vor ihm und musterte ihn aufmerksam.
»Sie sind mir schon eine Marke, Herr Kommissar«, sagte sie
schließlich, während sie den Kopf kokett schief legte. »Wirklich, sehr
ungewöhnlich, Ihre Befragungsmethoden.« Während ihr Blick weiter auf ihm ruhte,
hatte Lagerfeld mit einer beginnenden Ganzkörpertranspiration zu kämpfen. Er konnte
nicht einschätzen, ob er als Sieger aus diesem Kampf hervorgehen würde. »Herr
Schmitt, ich finde Sie absolut unverschämt und so was von plump, dass es fast
schon wieder lustig ist. Ich weiß wirklich nicht, was ich von Ihnen halten
soll. Mich hat schon lange keiner mehr so zum Lachen gebracht. Ich finde Sie,
nun, wie soll ich es ausdrücken, unkonventionell. Ja, das könnte man so sagen.
Und deshalb mache ich Ihnen einen Vorschlag. Sie fahren jetzt erst einmal
zurück nach Bamberg und verklagen Ihren Outfitberater, denn diesen Prozess
werden Sie todsicher gewinnen. Und anschließend, wenn Sie dienstfrei haben und
auch wieder präsentabel aussehen, rufen Sie mich an. Dann vereinbaren wir einen
Termin und besprechen Ihre Befragungsmethoden bei einem Glas Wein. Abgemacht?«
Sie hielt ihm ihre Visitenkarte unter die Nase und schien sich königlich zu
amüsieren.
Vielleicht aus Angst, dass alles nur ein Traum war, grapschte
Lagerfeld, so schnell er konnte, das weiße Kärtchen, schnaufte ein »Ja gut, bis
dann irgendwann« und drückte sich dann schnellstmöglich durch die halb offene
Bürotür.
»Und, Herr Schmitt …«, säuselte sie ihm noch hinterher, »ich bin
bestimmt älter, als Sie glauben.« Dann schloss sie lächelnd die Tür.
Lagerfeld war fertig mit der Welt. Sein Hemd klebte ihm am Körper,
und er hatte Aquaplaning in den Schuhen. Wie in Trance wankte er auf die Dame
am Vorzimmertisch zu, um sich Graetzkes Adresse abzuholen.
»Geht es Ihnen nicht gut, möchten Sie ein Glas Wasser?«, sorgte sich
die Sekretärin um ihn. Aber Lagerfeld hörte sie nicht. Ihm war schlecht, die
Beine zitterten, und sein Gehirn sendete nur noch das Testbild. Kommissar Bernd
Schmitt – Lagerfeld – hatte sich soeben hoffnungslos verliebt.
*
Das klingelnde Telefon auf seinem Schreibtisch unterbrach ihn beim Nachdenken.
»Kriminalhauptkommissar Haderlein«, meldete er sich.
Am anderen Ende der Leitung war Professor Siebenstädter von der
Gerichtsmedizin in Erlangen. »Haderlein, wir haben die Ergebnisse von Ihrem
Wassermann. Soll ich Ihnen das Wichtigste gleich durchgeben?«
»Ja, bitte, gab’s irgendwelche Überraschungen?«
Siebenstädter stöhnte zur Antwort. Nur diese albernen
Dorfkriminologen konnten solche unpräzisen Fragen stellen. »Nun, kommt darauf
an, was Sie für eine Überraschung halten wollen«, patzte Siebenstädter durchs
Telefon. »An was haben Sie denn bei der Todesursache gedacht, Herr
Kriminalhauptkommissar?«
Haderlein atmete tief durch. Gerichtsmediziner im Allgemeinen und
dieser im Besonderen nervten ihn – und zwar gewaltig. Anstatt einfach die
Diagnose auf den Tisch zu legen und zur nächsten Leiche überzugehen, mussten
sie immer eine arrogante Bemerkung nach der anderen absondern. Und Professor
Siebenstädter war ein Spezialist in solchen Dingen.
Von einem befreundeten Arzt hatte sich Haderlein zu Beginn seiner
Tätigkeit in Bamberg vorwarnen lassen, denn auch unter der Ärzteschaft genossen
Pathologen und Gerichtsmediziner nicht gerade den allerbesten Ruf. Nicht selten
wurden Kunstfehler oder Fehldiagnosen, die zum Tode geführt hatten, erst vom
Pathologen aufgedeckt. Zur Verteidigung der Ärzte muss aber auch gesagt werden,
dass es
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