Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
pockennarbigen Kröner. Immerhin war er der kultivierteste von den dreien, aber er quälte sie bis aufs Blut. Wenn sie nicht gewesen wäre, würde ich die Beweggründe der drei Männer bis heute nicht kennen.« Petra sah wieder ins Leere, dann warf sie einen Blick auf die Uhr. Sie richtete sich auf und verscheuchte mit einer unbewussten Geste die Stimmung, die sie selbst heraufbeschworen hatte.
»Ja, die drei sind wohlhabend«, antwortete sie schließlich. »Sehr sogar.«
Stich und Kröner hatten nur einen kleinen Teil ihrer Beute investiert. Der Rest ihres nicht unbeträchtlichen Vermögens, das ihnen in Baden-Württemberg zu Macht und Einfluss verholfen hatte, war das Ergebnis harter Arbeit. Der Inhalt der Bankschließfächer in Basel war unberührt geblieben. Nur Lankau hatte sich laufend aus seinem Teil der Beute bedient, und soweit Petra verstanden hatte, würde er das noch viele Jahre lang tun können. Nach außen hin war er der Besitzer einer mittelgroßen Maschinenfabrik, die vielen Menschen Arbeit gab. Aber die Fabrik erwirtschaftete keinen Gewinn. Sie diente lediglich als Tarnung, die ihm nebenbei – genau wie sein Weinanbau – wichtige Kontakte und lebenslange Jagdfreundschaften bescherte. Lankau war der gute Geist der Stadt, immer zu Scherzen aufgelegt und nie einem gemeinsamen Mittagessen abgeneigt. Lankau wurde für Petra zum Inbegriff eines Menschen mit zwei Gesichtern.
Kröners Geschäfte waren breiter gefächert. Er betrieb Handel, erwarb Ländereien und parzellierte diese. All diese Geschäfte erforderten politischen Einfluss und viele Freunde. Es gab wohl in Freiburg kein einziges Kind, dem Kröner nicht als Baby über die Wange gestrichen hatte, glaubte Petra. Er hatte den Großteil seines Lebens darauf verwendet, sich selbst zu inszenieren.
Stich war ein Kapitel für sich. Er lebte am bescheidensten von den dreien, war aber in Wirklichkeit der reichste von ihnen. Er hatte spekuliert und vom Wiederaufbau Deutschlands, dem anziehenden europäischen Binnenhandel und dem Boom der sechziger Jahre profitiert. Geringes Risiko – hohe Rendite. In diesem Metier brauchte es nichts als Scharfsinn und Tatkraft. Er verzichtete zeit seines Lebens darauf, sich zu sehr mit anderen Menschen einzulassen.
Selbst seinen Nächsten blieb er ein Buch mit sieben Siegeln.
Dreh- und Angelpunkt der Beziehung der drei Männer untereinander war in all den Jahren das Bemühen, die Vergangenheitgeheim zu halten. Mit großer Regelmäßigkeit besuchten sie Gerhart Peuckert und sorgten dafür, dass sie Einfluss auf seine Behandlung nehmen konnten.
Und sie gewöhnten sich alle an Gerharts Zustand. Nur ein einziges Mal zeigte sich etwas von einem Leben unter der Oberfläche, was sie alle schockierte. Petra war dabei. Sie waren bei einer Flugschau gewesen. Zum ersten Mal seit vielen Jahren hatte er etwas gesagt. »So schnell!« Mehr nicht. Das war 1962 gewesen.
Dieses Erlebnis hatte Petras Hoffnungen genährt – auf eine Wiederholung und auf Gerharts Genesung.
»Tja, und jetzt haben wir 1972. Wilfried Kröner ist achtundfünfzig Jahre alt, Lankau sechzig und Stich achtundsechzig. Gerhart ist fünfzig, genau wie ich. Nichts hat sich verändert. Wir sind bloß älter geworden.« Petra seufzte. »Die Zeit ist einfach so vergangen. Bis heute.«
Laureen saß lange Zeit nur da und sah Petra an. Sie war unendlich erleichtert, die Geschichte gehört zu haben. In Petras immer noch jungen Augen spiegelten sich Trauer und Resignation.
»Petra«, sagte sie. Dann schwieg sie wieder einen Moment. »Ich danke Ihnen, dass Sie mir Ihre Geschichte erzählt haben. Ich glaube Ihnen jedes Wort. Nur verstehe ich immer noch nicht, was mein Mann mit all dem zu tun hat. Warum sollten die drei Männer ihm Schaden zufügen wollen?«
»Aus demselben Grund, warum sie Gerhart und mich zum Schweigen gebracht haben. Ich nehme an, auch Ihr Mann wird sich auf ihre Bedingungen einlassen müssen.«
»Welche Bedingungen?«
»Dichtzuhalten. Wieder zu verschwinden. Ich weiß es nicht.« Sie machte eine kurze Pause. »Ist Ihr Mann vermögend?«
»Ja.«
»Kann er das beweisen?«
»Natürlich kann er das. Worauf wollen Sie hinaus?«
»Ich glaube, das wird er müssen, wenn er Freiburg lebend wieder verlassen will.«
»Was sagen Sie da?!« Laureen sah Petra entsetzt an. »Wissen Sie, was Sie da sagen? Ich bitte Sie: Sie müssen mir alles erzählen!«
»Das würde ich tun, wenn ich es könnte. Aber ich weiß längst nicht alles. Und
Weitere Kostenlose Bücher