Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
viele Jahre her. Höchst unwahrscheinlich, dass Sie ihn auch kennen. Er hieß Gerhart Peuckert.«
Der Alte sah ihn einen Augenblick sehr aufmerksam an, dann schürzte er die Lippen und kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Es mag Sie erstaunen«, sagte er schließlich und zog die Augenbrauen hoch, »aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich an diesen Mann erinnern kann. Er war sehr krank, nicht?«
Das hatte Bryan nun wirklich nicht erwartet. Es verschlug ihm für einen Moment die Sprache. »Ja, das war er wohl«, brachte er endlich hervor.
»Ich glaube, ich kann mich an ihn erinnern. Wenn ich mich nicht irre, hat Hans vor gar nicht so langer Zeit von ihm gesprochen. Kann das sein?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wissen Sie was? Das könnte ich doch für Sie herausfinden. Meine Frau hat ein begnadetes Gedächtnis, die kann uns sicher helfen. Haben Sie es eilig? Wohnen Sie hier in der Stadt?«
»Ja.«
»Es wäre mir eine Freude, wenn Sie mit uns zu Abend essen würden. Sagen wir, halb neun? Wäre Ihnen das recht? Bisdahin würden meine Frau und ich versuchen herauszufinden, wo dieser Gerhart Peuckert wohl steckt. Was sagen Sie?«
»Das klingt ganz wunderbar.« Bryan wurde fast schwindlig. Die Augen des Alten waren sanft. »Dazu kann ich wohl schlecht Nein sagen. Wirklich sehr liebenswürdig von Ihnen.«
»Gut, also um halb neun bei uns zu Hause.« Er machte eine plötzliche Kopfbewegung. »Sie dürfen aber nichts Großartiges erwarten, Mr. Scott. Meine Frau und ich sind ja schon etwas älter. Kommen Sie doch in die Längenhardstraße 14. Ist ganz leicht zu finden. Am besten gehen Sie einmal quer durch den Stadtgarten. Kennen Sie den Stadtgarten, Mr. Scott?«
Die Zunge klebte Bryan am Gaumen, er versuchte zu schlucken. Er wusste, dass der Alte in der Luisenstraße wohnte. Aber eben hatte er eine andere Adresse angegeben. Bryan bemühte sich zu lächeln und wich dem Blick des Alten aus. Gerade in dem Moment angelogen zu werden, als neue Hoffnung in ihm aufkeimte, war ein äußerst unangenehmes Gefühl. Bryans Lider fingen an zu prickeln. Der Magen zog sich zusammen. Und völlig unvermittelt musste er auf die Toilette.
»Ja. Ja, ich kenne den Stadtgarten.«
»Dann können Sie sich praktisch gar nicht verlaufen. Vom Leopoldring gehen Sie quer durch den Stadtgarten und am See vorbei, bis Sie zur Mozartstraße kommen. Die laufen Sie entlang und biegen die zweite Straße nach rechts ab, das ist die Hansastraße. Und an deren Ende stoßen Sie automatisch auf die Längenhardstraße. Nummer vierzehn – das können Sie sich doch merken? An der Tür steht ›Wunderlich‹.« Breit lächelnd gab ihm der alte Mann noch einmal die Hand. Auf seinem Weg zur nächsten Straßenecke wandte er sich mehrfach um und winkte, dann war er verschwunden.
50
GAR NICHT SO EINFACH , ging es Kröner durch den Kopf. In den letzten zwanzig Jahren hätte es so viele Gelegenheiten gegeben, Petra Wagner aus dem Weg zu räumen – Kröner mochte gar nicht daran denken.
Und ausgerechnet heute diese Mühe. Im Moment wusste er nicht einmal, wo sie steckte.
Heute, am Samstag, konnte er weder auf ihrer Dienststelle noch in der Verwaltung jemanden erreichen. Er bekam schlicht und ergreifend keine Antwort auf die Frage, die ihm so sehr unter den Nägeln brannte: Wo war Petra Wagner?
Selbst wenn es ein ganz normaler Werktag gewesen wäre, wer hätte ihm schon weiterhelfen können? Früher oder später hätte man sich über sein hartnäckiges Nachfragen gewundert. Spätestens dann, wenn sich herausgestellt hätte, dass Petra kurz darauf verschwunden war.
Am liebsten hätte Kröner gewendet und wäre zum Titisee gefahren, wo seine Frau und sein Sohn im Schwarzwaldhotel sicher schon längst wunderbaren Mohnkuchen verspeist hatten. Er umklammerte das Lenkrad, während er auf die Kreuzung zufuhr. Zu seiner Rechten lockte die Ausfahrtstraße zu den Vororten. Links vor ihm lag sein Ziel. Als die Ampel grün wurde, gab er langsam Gas und bog scharf links ab zu den Wohnblöcken, wo Petra Wagner eine kleine Wohnung hatte.
Das Gebäude wirkte genauso verlassen wie die Straße. Weder die Haus- noch die Wohnungstür bereiteten ihm besondere Schwierigkeiten. Ein kurzer, gezielter Stoß mit dem gesamten Körper genügte, um sich Eintritt zu verschaffen.
Die Zeitungen lagen im Flur auf dem Boden. Petra musste die Wohnung schon vor mehreren Stunden verlassen haben.
Kröner war zum ersten Mal hier. Der schwere, süßliche Geruch einer Frau
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