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Das alte Kind

Das alte Kind

Titel: Das alte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoe Beck
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es ihr zu sagen.
    Sie blinzelte, bis sie klarer sehen konnte: Rosenblätter auf der Wasseroberfläche, Teelichte auf dem Wannenrand. Aus dem Radio in der Küche plätscherte kitschiger Romantikpop. Nicht ihre Welle, aber ihre Wanne. Sie spürte, wie an ihren nassen Händen etwas entlanglief, das wärmer war als das Wasser. Ihre Handgelenke juckten. Sie wollte sich kratzen, aber sie sah, dass die Tinte aus ihren Unterarmen lief. Sie fühlte keinen Schmerz, keine Panik, dachte: Okay, ich war wohl etwas zugedröhnt, aber ein Krankenwagen könnte eine gute Idee sein. Dann machte es klick in ihrem Kopf, und sie kotzte über den Wannenrand.
    Sie konnte nämlich kein Blut sehen. Schon gar nicht ihr eigenes.
    Bis zum Telefon schaffte sie es, auch wenn sie zweimal auf dem Weg dorthin umfiel, ihr Blut vom Bad über den Flur bis in die Küche verteilte, wo ihr immerhin einfiel, dass sie sich die Handgelenke besser abbinden könnte. Fiona nahm zwei Geschirrtücher, die seit Tagen auf dem Boden lagen, um einen Liter Cola aufzusaugen. Wahrscheinlich brachte das mit dem Abbinden nichts, denn sie schaffte es kaum, einen festen Knoten zu machen. Am Boden zusammengekauert wählte sie die Notrufnummer. Sie konnte der freundlichen Dame am anderen Ende der Leitung zwar nicht genau sagen, was los war, weil sie eine schwere Zunge hatte, die außerdem komisch schmeckte, und das lenkte sie ab. Zum Glück aber erst, nachdem sie ihren Namen und ihre Adresse genannt hatte. Oder vielleicht hatte sie auch gar nichts gesagt, und die in der Notrufzentrale hatten rausgefunden, woher sie anrief.
    Sie vertrieb sich die Zeit damit, einen anderen Sender im Küchenradio zu suchen. Dann fielen ihr die Augen zu, aber sie sang den Song mit, der gerade lief, um nicht einzuschlafen.
    (Falling about…You took a left off Last Laugh Lane…)
    Knappe zehn Minuten später trat jemand die Tür zu ihrer Wohnung ein und stürmte in die Küche. Und da fand sie, dass ein bisschen Schlaf nicht schaden könnte.

New York, Berlin, September 1978
     
    Sie sagten es ihm erst, als er die Kadenz zum dritten Satz zu seiner Zufriedenheit eingespielt hatte. Vielleicht war es auch Zufall gewesen, und die Nachricht war erst in diesem Moment eingetroffen. So oder so, er war froh, es nicht vorher erfahren zu haben. Lange genug hatte er an der Kadenz gearbeitet, damit sie nicht zu sehr nach Wilhelm Kempff klang, aber auch nicht zu sehr nach Brendel. Und schon gar nicht nach Buchbinder. Überhaupt, Buchbinder. Wo immer Frederik hinkam, Buchbinder war bereits dort gewesen. Dabei war dieser nur wenige Jahre älter als Frederik. War ihm zum Beispiel zuvorgekommen mit der Gesamtaufnahme von Haydn. Dieser Buchbinder…Im Grunde spielte er so banal, dass es einem hochkam. Aber alle stürzten sich darauf.
    Frederik fragte sich nicht zum ersten Mal, ob er weg von den Klassikern sollte. Oder weg von den großen Konzertsälen, untertauchen, selbst komponieren…Kammermusik vielleicht…Eine Weile nicht der Mittelpunkt sein…
    Er verwarf diese Gedanken, wie üblich. Er wollte ja im Mittelpunkt stehen. Brauchte es. Für ausverkaufte Konzerthäuser wollte er auch weiterhin sorgen. Für hohe Verkaufszahlen bei seinen Schallplatten. Er wollte im Radio rauf und runter gespielt werden. Aber es fraß ihn langsam auf, dass er nicht wusste, wie er die absolute Spitze ein für alle Mal erreichen konnte. Exzentrik vielleicht? Wie Glenn Gould, der besessene Perfektionist, der barfuß aufgetreten war, bei den Aufnahmen mitsang und seine Verachtung für Mozarts Spätwerk öffentlich äußerte? Mozart und Beethoven. Genau Buchbinders Kragenweite, nicht wahr? Buchbinders wie auch seine eigene. Wobei sich Frederik von Mozart fernhielt. Alle liebten Mozart, und nichts fiel ihm leichter, als Mozart zu spielen. Aber sein Professor, sein größtes Vorbild, hatte gesagt: »Mozart ist was für Kinder und Anfänger. Mozart spielen wir nicht.« Einmal gesagt, galt es für die Ewigkeit. Frederik hatte sich immer gewünscht, mehr von der Genialität dieses Mannes in sich zu haben, der Rachmaninow und Ravel mit einer nie gehörten Brillanz spielte, nachdem er sich die Noten nur einmal kurz angesehen hatte. Exzentrik, da war sie wieder: Er lebte einzig von Kaffee und Zigaretten, man munkelte, dass er nicht mehr auftrat, weil er ein Alkoholproblem hatte, es war bekannt, dass er bei seinem letzten Auftritt in den frühen 60er-Jahren schreiend zusammengebrochen war, weil jemand im Publikum raschelnd das Jackett ausgezogen

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