Zwischen den Zeilen
Gott und seine Jungs...
Josh
»Na komm schon!«, murmle ich genervt und trommle nervös mit den Fingern auf dem Lenkrad. Kann diese verdammte Ampel da vorne endlich mal grün werden? Ich bin ohnehin spät dran und wenn ich es nicht rechtzeitig schaffe, verzeiht Nati mir das nie. Nicht heute. Nicht am Tag ihrer kirchlichen Hochzeit. Dem Tag, für den sie, wenn man dem, was sie seit Monaten so von sich gibt, Glauben schenkt, quasi geboren wurde. Und auch wenn ich, mangels irgendwelcher Alternativen, ihr Lieblingscousin bin, fürchte ich, das wird mir nichts nutzen. Sie wird mich also hassen, für den Rest ihres Lebens. Schließlich war ich schon vorgestern beim Standesamt zu spät.
Knapp zehn Minuten später erreiche ich die Kirche. Hoffe ich jedenfalls. Verdächtig leer hier, kein einziges der parkenden Autos kommt mir bekannt vor. Und da Nati an ihrem Einmal im Leben bin ich eine Prinzessin, bevor ich den Rest davon zur Strafe, dass ich ein Monatsgehalt für ein geschmackloses Kleid hingeblättert hab, mit einem Vollidioten verbringen muss- Tag vermutlich nicht vorhat, auch nur das kleinste Detail dem Zufall zu überlassen, müssten an den Antennen eigentlich längst Autoschleifen angebracht sein. Und zwar solche, die, wie ich vom Telefon weiß, farblich perfekt zur Tischdekoration passen. Und darüber hinaus natürlich zum Blumenschmuck, den Einladungen und zu allem, was es da im großen, mir zum Glück auf immer verwehrten, kirchlichen Hochzeitsuniversum sonst noch gibt.
I ch glaube, ich hab mein Gehirn schon nach ihren Ausführungen, dass sie ins Kirchenheft hinten in einem Zellophantütchen ein Tempotaschentuch klebt, ausgeschaltet. Und die Frage, was bitte schön ein Kirchenheft ist, hätte ich mir im Nachhinein wohl besser erspart.
Ich hab mich dann belehren lassen, dass dieses Teil, von dessen Existenz ich bisher, trotz offenbar zwingender Notwendigkeit, nichts mitbekommen hab, unerlässlich ist, um stilvoll zu heiraten. Und dass man sich danach sieben geschlagene Minuten darüber auslassen kann, in welcher Schriftgröße man da jetzt wohl am besten Für die Freudentränen reinschreibt. Ob man das wohl besser drüber oder drunter schreibt, nicht eingeschlossen.
Zum Glück bin ich schwul. Und für alle Heteros da draußen: Überlegt euch das, es nimmt selbst für meinen Geschmack überaus groteske Züge an.
Hektisch sehe ich auf meine Armbanduhr. Seltsam, eigentlich sollten sie seit drei Minuten angefangen haben. Aber wenn ich sofort einen Parkplatz gefunden hätte, wäre ich beinahe pünktlich gewesen.
Gar nicht so leicht, sich im Dauerlauf anständig eine Krawatte zu binden. Und das Scheiß-Etikett im Nacken des Sakkos kratzt auch. Aber dafür ist der Anzug wirklich todschick. Waffenscheinpflichtig. Leider nur geliehen, von einer Fotostrecke letzte Woche. Das Model sah darin allerdings zugegebenermaßen besser aus als ich. Und Claude, der Assistent aus der Fashion-Redaktion wird mich vierteilen, wenn ich das Teil nicht spätestens Montag unversehrt wieder dorthin zurückbringe. Und unversehrt bedeutet in diesem Fall dummerweise inklusive des kratzenden Preisschilds.
Vorsichtig öffne ich die schwere Kirchentür und schlüpfe in Erwartung sich nach mir umdrehender Köpfe und eines rügenden Blicks meiner Mutter, der mich aus der ersten Bank direkt tötet, hinein. Aber nichts dergleichen empfängt mich. Da ist einfach… nichts. Wobei, eigentlich sieht es schon sehr nach Hochzeit aus, aber die Kirche ist leer. Na ja, fast jedenfalls, denn irgendwo vorn, an einer der ersten Bänke, bastelt ein Typ an der Blumendekoration.
Oh Shit! Ich hab mich doch nicht etwa in der Adresse geirrt? Oder in der Zeit und die Party ist schon gelaufen? Das verzeiht Nati mir nie und ich kann mich auch selbst gleich hier und jetzt umbringen, aber ich glaube, so was sieht die Kirche nicht so gern. Riesenaufwand inklusive Neuweihe, wenn ich recht informiert bin. Vielleicht doch besser auf dem Vorplatz...
Oder hat Nati es sich im letzten Moment doch noch anders überlegt und der Kerl räumt hier nur auf? Wäre allerdings völlig idiotisch, verheiratet ist sie seit vorgestern sowieso und die Frist, das Ganze zu annullieren ist, glaub ich, auch vorbei. Also kann die Party steigen. Nur leider sieht es grade definitiv so aus, als würde sie das, wo auch immer, ohne mich.
Ein wenig unentschlossen, was ich jetzt tun soll, bleibe ich im Eingangsbereich stehen, tauche meine Hand ins Weihwasserbecken, weil eine kleine
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