Das Amt und die Vergangenheit - Conze, E: Amt und die Vergangenheit
alle seine Angehörigen bezogen zu werden.
Welche Rolle spielte die NS-Vergangenheit des Amtes und seiner Diplomaten nach 1945? Seine Vergangenheit hat das Auswärtige Amt der Bundesrepublik seit 1951 immer wieder eingeholt. Ein ums andere Mal rückte vor allem die hohe personelle Kontinuität zwischen der Wilhelmstraße in Berlin und der Koblenzer Straße in Bonn in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Parlamentarische Untersuchungsausschüsse befassten sich mit dieser Kontinuität und ihren Folgen ebenso wie die westdeutschen Medien. In den vergangenheitspolitischen Entwicklungen der jungen Bundesrepublik war der Auswärtige Dienst keine Ausnahme. Doch wie kam es, dass Adenauers Wunsch von 1949 nicht in Erfüllung ging: ein neues Amt aufzubauen, »das mit den alten Leuten möglichst wenig zu tun hat«?
Vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts standen die Außenpolitik der Bundesrepublik und mit ihr das Auswärtige Amt unter Dauerbeschuss aus dem Osten, vor allem aus der DDR. Nicht nur deren »Braunbuch« von 1965 verwies auf die hohe personelle Kontinuität zwischen dem alten und dem neuen Amt und auf die NS-Belastung führender westdeutscher Diplomaten. Die Angaben in dem Buch trafen zum allergrößten Teil zu; aber weil die Vorwürfe aus der DDR kamen, halfen sie, wie auch der Fall Franz Nüßlein zeigt, im antikommunistischen Klima des Kalten Krieges den Beschuldigten eher, als dass sie ihnen schadeten. Und sie trugen dazu bei, dass die in den späten vierziger und fünfziger Jahren entstandenen Geschichtsbilder und Geschichtslegenden erhalten blieben und fortwirkten.
Zwar war der institutionelle Wiederbeginn des Auswärtigen Amtes nach Gründung der Bundesrepublik insofern ein Neuanfang, als sich das Amt in das demokratische Gefüge des jungen westdeutschen Staates einpassen musste. Doch gerade die Personalpolitik des in Bonn wiedergegründeten Amtes stand von Anfang an in einem Spannungsverhältnis von Kontinuität und Neubeginn. Das führte immer wieder zu amtsinternen Konflikten, aber auch zu öffentlichen Kontroversen und Skandalen, in deren Zentrum stets aufs Neue die NS-Vergangenheit des Amtes und vieler seiner Diplomaten stand. Ernst Kutscher, in der Berliner Zentrale des AA 1944 mit »antijüdischer Auslandsaktion« befasst, wirkte noch in den sechziger Jahren als Botschaftsrat in Paris, später bei der EWG in Brüssel. Werner von Bargen, als Vertreter des Auswärtigen Amtes an der Deportation von Juden in Belgien beteiligt, beendete seine diplomatische Karriere als Botschafter der Bundesrepublik in Bagdad. Außerhalb des Auswärtigen Amtes stieg Ernst Achenbach, seit 1940 Leiter der politischen Abteilung der deutschen Botschaft in Paris, mitverantwortlich für die Deportation französischer Juden, nach 1945 Verteidiger im Wilhelmstraßenprozess, als Bundestagsabgeordneter zu einem der führenden Außenpolitiker der FDP auf - und 1970 beinahe zum deutschen EWG-Kommissar.
Weil das Auswärtige Amt für die Außenpolitik des westdeutschen Staates zuständig war, stand es unter besonderer Beobachtung. Hochsensibel verfolgte man im Ausland den Wiederaufbau des deutschen diplomatischen Dienstes. Man suchte zu prüfen, wen die Bundesrepublik an ihre konsularischen und diplomatischen Missionen entsandte. Kein außenpolitisches Thema, kein Thema der bilateralen Beziehungen der Bundesrepublik zu anderen Staaten war ohne Bezüge zur nationalsozialistischen Vergangenheit - weit über das deutsch-israelische Verhältnis hinaus, mit dem deutsche Diplomaten allerdings auch schon vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen befasst waren. Das erforderte permanente Selbstverständigungsprozesse innerhalb des diplomatischen Personals, deren Veränderung und Wirkmächtigkeit in unterschiedlichen Politikbereichen zu den Themen dieses Buches gehören. Die deutsche Außenpolitik hatte - und hat - eine vergangenheitspolitische Dimension, und insofern ist die Geschichte des Auswärtigen Dienstes der Bundesrepublik auch ein Beitrag zur Geschichte ihrer auswärtigen Politik.
Wo aber lagen die außenpolitischen Zielsetzungen und Überzeugungen jener Wilhelmstraßen-Beamten, die in den Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik übernommen wurden? Für welche Politik traten sie ein, welche lehnten sie ab? Wie verhielten sie sich zu Adenauers Kurs der Westintegration? Aus solchen Fragen die These einer von Diplomaten getragenen Kontinuität nationalsozialistischer Außenpolitik zu konstruieren, läuft ins Leere.
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