Das Amulett der Pilgerin - Roman
losreißen.
»Pardon.« Sie versuchte, sich an ihm vorbeizuschlängeln, und er spürte einen Moment ihre kleinen, festen Brüste an seinem Körper entlangstreifen.
»Verzeihung.« Julian setzte sich wieder, und die beiden zwängten sich durch die Menschenmenge in Richtung Ausgang. Darauf war er nicht vorbereitet gewesen. Jede Faser seines Körpers brannte in dem plötzlichen Begehren, diese Frau zu besitzen.
»Ist hier noch frei?«
Eine korpulente Dame mit zwei struppigen Kleinkindern wollte seinen Platz auf der Holzbank. Julian gewann seine Fassung wieder.
»Ja, ich gehe gerade.«
Der Blick der Dame machte deutlich, dass sie fand, er könne sich ruhig etwas beeilen, und Julian gab ihr recht, da er das ungewöhnliche Paar nicht aus den Augen verlieren wollte.
Als er in den Hof trat, wurde gerade ein Maultier aus dem Stall geführt. Die beiden warteten. Ja, auch die Frau kam vermutlich aus dem Süden. Julian beschloss, in die Offensive zu gehen.
»Na, auch kein Bett mehr bekommen?«
Der Südländer drehte sich um und taxierte ihn vorsichtig und ein bisschen abweisend.
»Waren Sie schon mal hier? Gibt es ein anderes Gasthaus in Exeter, das vielleicht günstiger ist?«
Julian, der ja bereits vorgewarnt war, verzog keine Miene, als er von dem Mann mit dieser seltsam hohen Stimme angesprochen wurde.
»Ich werde es im ›Red Inn‹ versuchen, wenn Sie wollen, können Sie mitkommen.«
Der große Mann blickte zu seiner Begleiterin. Sie nickte. »Ja, das machen wir.« Er übernahm den Zügel des Maultieres von dem Knecht, und sie folgten Julian.
»Mein Name ist Rinaldo della Rosa del Ranguano, und dies ist meine Schwester Viviana.«
Die Frau war sicherlich nicht seine Schwester. Kein Mann hätte für die Entscheidung, wo man übernachten sollte, die Bestätigung seiner Schwester einholen müssen; ein Südländer schon gar nicht, dachte Julian. Er stellte sich ebenfalls vor.
»Angenehm, ich heiße Julian White, nennen Sie mich einfach Julian.« Er musste sich sehr zusammenreißen, seinen Blick auf Se ñ or Rinaldo zu konzentrieren und nicht seine vorgebliche Schwester anzustarren.
»Das ›Red Inn‹ ist auf der anderen Seite der Stadt. Es liegt zwar nicht mitten im Geschehen wie dieses Gasthaus« – Julian wies über die Schulter –, »aber es ist recht ordentlich.«
»Wo ist denn Ihr Gepäck?«
Der Südländer war misstrauisch.
»Ich hatte eigentlich vor, bei einem Bekannten zu übernachten. Aber wie sich herausstellte, hat der Gute Besuch von seiner Familie aus Somerset.« Julian zuckte mit den Schultern. »Pech für mich, aber wenigstens konnte ich erst einmal meine Sachen unterstellen.«
Se ñ or Rinaldo nickte, während er vorsichtig den vielen Schlaglöchern und Abfallhaufen auf der Straße auswich. Julian fuhr fort: »Sind Sie zum ersten Mal in Exeter? Dann sollten Sie unbedingt die Kathedrale sehen! Jedes Mal, wenn ich hier bin, gehe ich nachsehen, was wieder neu dazugebaut worden ist. Sehr beeindruckend.« Julian deutete in die Richtung, in der sich die mächtigen Türme über die Dächer erhoben.
»Das würde ich mir gerne ansehen«, sagte die Frau und lächelte. Ihre weißen Zähne strahlten. Julian war hingerissen und stellte gleichzeitig fest, dass sie in guter, gesunder Verfassung war und noch alle Zähne hatte. Ihm war gleich aufgefallen, dass sie nur ein Reittier besaßen. Hatten sie das zweite verloren? Wenn sie tatsächlich zu Fuß nach Saint Albans unterwegs waren, dann konnte er sich nicht das schlechte Schuhwerk der Schwester erklären. Das konnte er sich sowieso nicht erklären, denn die Schuhe passten ihr nicht. Der Rest der Ausrüstung war in gutem Zustand, warum also nicht ihre Schuhe? Irgendetwas war hier faul, und dem würde er auf den Grund gehen.
Sie kamen zu einem langgestreckten, niedrigen Holzhaus, das mit Ochsenblut gestrichen war. Julian schritt durch die Toreinfahrt in den Hof, an den sich ein bescheidener offener Stall angliederte. Der Stalljunge rief ihnen zu, das Maultier anzubinden, er würde sich gleich darum kümmern. Julian scheuchte einige Hühner aus dem Weg und öffnete die Tür zur Diele des »Red Inn«. Ehe er noch den Fuß hineinsetzen konnte, lief eine Frau mit einem großen Tablett an ihm vorbei.
»Vorsicht!«
»Auch voll hier!«, sagte Julian über die Schulter, als Rinaldo und Viviana ihm in das Gasthaus folgten. Sie gingen zum Tresen und winkten den Wirt herbei.
»Ich brauche eine Kammer und die beiden Herrschaften ebenfalls.«
Der Wirt
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