Das Amulett der Pilgerin - Roman
ritt. Seine dunkelblonden, schulterlangen Haare waren im Nacken lose zusammengebunden. Die Sonne hatte zahlreiche Strähnen heller gebleicht. Ob er eine Frau hatte? Es war unwahrscheinlich, dass ein gut aussehender Mann, der zudem sehr nett war, keine Frau hatte. Er trug ein ärmelloses Hemd aus Leinen, und die Haut seiner sehnigen Arme war gebräunt. An seiner Seite hing ein schmales, kurzes Schwert. Die Straße verbreiterte sich, und Viviana trieb ihr Pferd an und holte zu Julian auf.
»Wie weit ist es bis Reading?«
»Das hängt von unserer Schnelligkeit ab. Wir könnten fast eine Woche unterwegs sein.«
»Ist es auf den Straßen gefährlich?«
»Auf den Straßen ist es immer gefährlich.«
»Haben wir noch mehr Waffen als dein Schwert?«
Julian lachte.
»Ich bin mir sicher, dein Bruder hat eine Waffe.«
»Natürlich!« Fast hätte sie sich verplappert. »Aber ich habe keine Waffe.«
»Du brauchst auch keine Waffe, du bist eine Frau.«
»Aber wenn ich mich verteidigen muss?«
»Dein Bruder und ich werden dich verteidigen.«
Viviana runzelte die Stirn.
»Was? Glaubst du nicht, dass ich dich verteidigen könnte?«
»Doch, aber drei Kämpfer sind besser als zwei.«
Julian blickte Viviana neugierig an. Sie war eine seltsame Frau. Manchmal erschien sie ihm unbedarft wie ein Kind, und doch war sie sehr selbstständig. Er beugte sich nach hinten, griff in eine seiner Satteltaschen und zog einen schmalen Dolch hervor.
»Hier. Ich möchte nicht, dass du dir Sorgen machen musst.«
Viviana nahm den Dolch und befestigte ihn an ihrem Gürtel.
»Danke sehr«, sagte sie würdevoll und überhörte seine Ironie.
Julian schmunzelte und betrachtete die zierliche Frau neben sich. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie den Dolch je gebrauchen würde, aber man wusste ja nie. Er jedenfalls hatte die feste Absicht, sie gegen jeden Wegelagerer zu verteidigen.
»Bist du schon einmal überfallen worden?«
»Auf der Straße?«
»Überhaupt.«
Julian war schon zahlreiche Male angegriffen worden und hatte diverse Narben, die von Kämpfen auf Leben und Tod zeugten. Das war seiner Arbeit geschuldet. Aber bisher hatte er immer Glück gehabt, und sicherlich half auch, dass er ein ausgezeichneter Schwertkämpfer war.
»Nun, es gab schon einige brenzlige Situationen. Wenn man so viel unterwegs ist wie ich, lässt sich das nicht vermeiden.«
»Erzähl doch mal.«
»Sie sind aber sehr blutrünstig, Madame.«
Viviana nickte übertrieben eifrig und zwinkerte ihm zu. Julian streckte seinen nackten Arm zu ihr hinüber und deutete auf die lange Narbe, die sich von seinem Bizeps bis zu seinem Unterarm zog.
»Die hat mir ein Schurke im Wald vor Canterbury beigebracht.«
Viviana trieb ihr Pferd näher zu Julian und betrachtete den weißen Streifen auf der braunen Haut.
»Und?«
»Und was?«
»Was hast du gemacht?«
»Ich habe meinem Pferd die Sporen gegeben, was sonst.«
Viviana machte ein enttäuschtes Gesicht.
»Lass dir gesagt sein, dass es ratsam ist, sein Heil in der Flucht zu suchen, wenn es möglich ist.«
»Ist er dir nicht gefolgt?«
»Nein, ich habe meine Satteltaschen abgeworfen, und das war es ja, was der Räuber wollte.«
»Klingt irgendwie nicht heldenhaft«, beschwerte sich Viviana.
»Darf ich dich daran erinnern, dass ich nicht einer von diesen Recken bin, die ihren Lebensunterhalt damit bestreiten, von einem Turnier zum anderen durchs Land zu reisen. So einer hätte sich wahrscheinlich sogar auf einen Kampf gefreut.«
Sie lachte ihn an.
»Nein, es war sicherlich das Vernünftigste, was du tun konntest.«
»Allerdings.«
»Aber jetzt könntest du dir eine großartige Geschichte ausdenken, wie du zu der Narbe gekommen bist.«
»Warum?«
Viviana verdrehte die Augen.
»Um anderen Leuten zu imponieren.«
»Das stimmt natürlich. In der nächsten Schenke könnte ich eine wilde Heldengeschichte erfinden. Allerdings könnten sich dann einige Burschen herausgefordert fühlen, und ich kann ja nicht immer das Weite suchen und mein Gepäck zurücklassen.«
»Ich dachte auch eher an Damen.«
Viviana genoss ihre unbeschwerte Unterhaltung mit Julian. Er war ein anderer Reisegefährte als Rinaldo, der wenig sprach. Julian hatte nicht gleich auf ihre letzte Bemerkung geantwortet und blickte sie jetzt unergründlich an. Sie zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Das macht Eindruck auf Damen?«, fragte er schließlich.
»Aber ja. Du kannst mir nicht erzählen, dass du das nicht schon wusstest.«
Sie schäkert
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