Das Amulett der Pilgerin - Roman
grausig. Julian bemerkte sofort, dass zwei der Leichen nicht mehr da waren und, den Schleifspuren ins Unterholz nach zu urteilen, einigen Waldbewohnern als Nachtmahl gedient hatten. Die anderen Männer lagen zwischen ihren Waffen. Auf dem Sandboden der Straße waren einige große dunkle Flecke, wo das Blut in die Erde gesickert war. Es klebte an Äxten und Speeren und an den Leichen. Julian hockte sich neben den Räuber, den er als Ersten getötet hatte. Seine Kleidung war ordentlich und von guter Qualität, seine Schuhe waren sogar neu. Dieser Mann hier war kein gewöhnlicher Räuber. Julian schnitt ihm seinen Lederbeutel vom Gürtel, hielt ihn hoch und legte ihn neben sich ins Gras. Er wollte nicht, dass die Dörfler dachten, er würde heimlich etwas einstecken und nicht mit ihnen teilen. Die beiden anderen Toten waren nicht so gut ausgerüstet gewesen und hatten, soweit das noch zu erkennen war, auch kein so gepflegtes Äußeres gehabt. Den Blick zu Boden gerichtet, ging Julian langsam den gesamten Kampfplatz ab. Hier war er vom Pferd gefallen. Der Stein, der mit der Wurfschleuder auf seinen Kopf abgeschossen worden war, lag blutig neben dem Mann, den er damit bewusstlos geschlagen hatte. Dort hinten war Rinaldo gewesen. Eine breite Spur führte nach links in den Straßengraben und dann in den Wald. Zwischen den Bäumen sah er etwas liegen. Er bahnte sich seinen Weg durch den hohen Fingerhut, der violett und blau in der Sonne leuchtete und wie am Tag zuvor von den Bienen umschwirrt wurde. Als er näher kam, erkannte er, dass es Rinaldos Maultier war. Es lebte noch, obwohl es offensichtlich von einem Raubtier angegriffen worden war, denn die Hinterläufe wiesen tiefe Kratz- und Bissspuren auf. Er ging um den zitternden Körper herum. Julian schluckte, als er in die Augen des Tieres sah, die die Angst und den Schmerz des Todeskampfes zeigten. Er zog sein Schwert und machte dem Leiden ein Ende. Wo war Rinaldo? Es war nicht mehr zu unterscheiden, ob die Spuren von wilden Tieren oder von Menschen stammten. Als Julian wieder auf die Straße trat, waren die Männer des Dorfes damit beschäftigt, die Toten auf die mitgebrachten Karren zu heben. Augenscheinlich war Julian ja fertig mit der Untersuchung der Straße, da er sich in den Wald begeben hatte. Julian seufzte, immerhin hatte er ein paar Erkenntnisse gewinnen können, die ihm hoffentlich weiterhelfen würden. Er sah Viviana auf der anderen Seite der Straße am Waldrand. Sie bückte sich und hob etwas auf. Julian machte ein paar eilige Schritte zu ihr hin.
»Einer der Räuber hat etwas verloren«, sagte sie und streckte ihm einen kleinen, runden Anhänger aus dünnem Silber hin.
Sehr fein war ein Muster eingehämmert, das einen Schlangenkopf zeigte. Darüber war ein Loch in das Metall gestanzt worden.
»Es scheint ein Anhänger zu sein.«
»Und er hing vermutlich hier dran.« Viviana zupfte einen dünnen Lederfaden von dem Strauch neben sich und hielt ihn Julian hin.
»Vielleicht gehörte der Anhänger zu einer der Leichen, die von den Tieren weggeschleppt wurden?« Julian kratzte sich am Kinn, aber Viviana schüttelte den Kopf.
»Das Lederband hing hier oben. Der Mann muss sich also aufrecht im Strauch verfangen haben. Wenn er ihn verloren hätte, als er schon tot war, hätten wir den Anhänger ja auf dem Boden gefunden.«
»Ja, das ist richtig.«
Viviana blickte sinnend vor sich hin.
»Das Leder konnte nur unter großer Krafteinwirkung reißen. Es muss ihn also ordentlich in den Hals geschnitten haben.« Sie blickte Julian an.
»Selbst wenn er es bei dem Angriff eilig gehabt hatte, hätte er es doch nicht einfach losgerissen, sondern es per Hand abgelöst. Ich wette, einer der Männer ist geflohen«, schlussfolgerte sie und zeigte in den Wald. »Und zwar dort entlang.«
Julian war beeindruckt.
»Sehr gut!«
Viviana lächelte stolz, sagte aber: »Das ist doch offensichtlich.«
»Wenn man logisch denken kann!«, neckte er sie.
Sie folgten der Spur und fanden die Stelle, an der die Räuber auf sie gewartet hatten und, ein Stück weiter in den Wald hinein, wo sie ihre Pferde angebunden hatten.
»Entweder hat einer von ihnen hier gewartet, oder deine Theorie von dem Flüchtigen ist tatsächlich richtig.«
»Oder beides.«
»Oder beides«, bestätigte Julian.
Sie gingen zurück zur Straße.
»Keine Spur von Rinaldo auf der anderen Seite?«
»Nein, nur sein Maultier. Ich habe ihm den Gnadenstoß gegeben.«
»Immerhin ist er nicht unter den Toten und
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