Das andere Ende der Leine: Was unseren Umgang mit Hunden bestimmt (German Edition)
Hütehundgesellschaft in Großbritannien gewann. Sie sagt nicht viel zu einem Hund, und wenn, dann ist es meistens leise gesagt – aber sie strahlt Vertrauen und innere Ruhe aus. In dem Trainingsseminar, das sie abhielt, hörten die Hunde auch noch auf sie, wenn sie hundert Meter entfernt stand und leise sprach. Auch wenn Sie vielleicht nicht so viel Respekt ausstrahlen können wie Julie, so können Sie doch Ihren Hund dazu bringen, Ihnen mehr Aufmerksamkeit zu widmen, wenn Sie eher ruhiges Vertrauen ausstrahlen anstatt die ganze Zeit über mit lauter Stimme zu sprechen.
Überlegen Sie, was Sie zu Ihrem Hund sagen und gewöhnen Sie sich an, näher an Ihren Hund heranzutreten anstatt von weitem lauter zu werden, wenn Sie seine Aufmerksamkeit möchten. Denken Sie an Gandhi und den Dalai Lama. Atmen Sie. Lächeln Sie. Fühlen Sie sich wohl dabei, Grenzen zu setzen, wie alle guten Lehrer es tun. Es ist ein tolles Gefühl, einen Hund zu haben, der Sie als ruhigen, vertrauenswürdigen Anführer respektiert, auf den man zählen kann. Ganz genauso toll wie das, dass Ihr Hund Sie liebt. Wir haben es gut, wir können beides zur gleichen Zeit haben. Ein Teil davon besteht darin, zu lernen, manchmal einfach weniger anstatt mehr zu sagen.
W OHLWOLLENDE F ÜHRUNG
Boss oder Chef sind weitere belastete Begriffe in der Hundeerziehung. Das Dominanzkonzept wurde so missverstanden und so missbraucht, dass in manchen Kreisen sogar das Wort Rudelführer in Ungnade gefallen ist. Das ist schade, denn die meisten sozial organisierten Tiere profitieren von der Weisheit eines klugen Führers. Hunderten meiner Kunden, die Probleme mit ihren Hunden hatten, hat es geholfen, geduldig und höflich wie eine liebende, wohlwollende Führungsperson zu agieren. Ich weiß nicht, ob die Probleme einiger meiner Kunden und ihrer Hunde durch Rangordnungsfragen bedingt waren oder ob der Hund keine Frustrationstoleranz hatte, aber die Lösungsvorschläge in diesem Kapitel können bei beidem positiven Einfluss haben. Vielleicht beginnt der Besitzer, sich eher wie ein wohlwollender Führer zu benehmen. Genau wie bei schwierigen halbwüchsigen Jugendlichen, die endlich einen weisen, älteren Mentor finden, führt schon diese Tatsache alleine zu einer Besserung des Verhaltens. Oder vielleicht lernen die Hunde, dass sie das Gewünschte eher erreichen, wenn sie geduldig und höflich anstatt grob und fordernd sind und sie lernen, mit Frustration umzugehen, ohne aggressiv zu werden oder außer Kontrolle zu geraten.
Ich würde vermuten, dass es vom jeweiligen Hund abhängt. Jeder Hund ist anders: Manche streben wirklich nach höherem Status und benehmen sich besser, wenn ihre Besitzer Führung bieten; andere können ihre eigenen Gefühle nicht regulieren, haben keine Reizkontrolle und müssen Geduld lernen. Die problematischsten Hunde sind eine Kombination aus beidem – leicht erregbarer Hund ohne Gefühlskontrolle, die auf jede wahrgenommene Bedrohung ihrer sozialen Position reagieren. Auf der anderen Seite sind manche Hunde so gutartig – ich nenne sie »menschensicher« – dass wir sie auch mit größtem Bemühen nicht verderben können. Wenn Sie so einen Hund haben, lesen Sie den Rest dieses Kapitels als rein intellektuelle Übung und lächeln Sie amüsiert über uns andere, die normale Hunde besitzen.
W EM GEHÖRT EIGENTLICH DAS H AUS ?
Auch wenn Hundetrainer die Bedeutung von sozialem Status in der Vergangenheit übertrieben haben, so ist er doch in manchen Fällen relevant. Ich hatte Kunden, deren Hunde sämtliche sozialen Interaktionen kontrollierten: sie bellten, wenn ihre Besitzer telefonierten; verlangten Aufmerksamkeit, wenn ein anderer Hund »Hallo« sagen wollte; bestimmten, wann sie gestreichelt und wann gefüttert werden wollten. Wie und wann Ihr Hund Aufmerksamkeit bekommt, ist nicht immer eine Frage des Lernens von Geduld und Frustrationstoleranz. Es ist auch ein wichtiger Aspekt sozialer Beziehungen, denn wer Aufmerksamkeit auf Verlangen bekommen kann, ist vom Rang in der sozialen Hierarchie abhängig. Ranghohe Schimpansen, Bonobos, Menschen und Wölfe, um ein paar Arten zu nennen, sind immer das Zentrum der visuellen Aufmerksamkeit ihrer Gruppe. Hochrangige Individuen entscheiden, ob sie das Ersuchen eines Rangniedrigen um sozialen Kontakt akzeptieren oder nicht. Rangniedrige mögen öfter den Kontakt initiieren, aber der Ranghöhere entscheidet, ob und wann man sich miteinander beschäftigt. Die rangniedrige Pip versucht immer wieder,
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