Das andere Ende der Leine: Was unseren Umgang mit Hunden bestimmt (German Edition)
sanftmütige, freundliche Hunde, denen man in der Familie trauen kann. Die blaue Schleife und der Ruhm in der Hundewelt beziehen sich vor allem auf körperliche Merkmale wie Fellqualität oder richtigen Schulterwinkel und Verhaltensmerkmale wie »Selbstvertrauen« oder »Zielstrebigkeit«. Auf Ausstellungen werden Hunde gut bewertet, die sich »gut präsentieren«, womit Hunde gemeint sind, die mit Selbstvertrauen und sicherem Schritt so um den Ring schreiten, als ob er ihnen gehören würde. Züchter, die mit ihren Jagdhunden an Jagdgebrauchshundeprüfungen teilnehmen, brauchen Hunde mit enormer Ausdauer und mit viel Trieb, die sich von eiskaltem Wasser oder Dornbüschen nicht aufhalten lassen. Wer gute Hütehunde zur Arbeit an Schafen oder Rindern züchten will, braucht Hunde, die zwölf Stunden am Tag bei Schneesturm arbeiten können. Aber keine dieser Qualitäten ist das, was die meisten Normalmenschen bei einem Familienhund brauchen. Selbst- und zielbewusste Hunde mögen toll im Ausstellungsring aussehen, können aber in einem Haus mit drei Kindern unter sieben Jahren schwierig sein. Retriever, die unter keinen Umständen aufgeben, setzen ihre Ausdauer und Zielstrebigkeit ein, um einen anderen Weg zum Mülleimer zu finden. Hütehunde, die zu zwölf Stunden Arbeit am Tag fähig sind, verwandeln sich in Irre, wenn ihre tägliche Bewegung aus einem halbstündigen Spaziergang an der Leine besteht.
Auch wenn viele Züchter sich wirklich um die wesensmäßige Disposition ihrer Hunde sorgen, so ist es doch Tatsache, dass sie wenig greifbare Rückbestätigung für das Züchten freundlicher, sanfter Hunde bekommen. Sie bekommen Geld, Pokale und öffentliche Anerkennung für Hunde, die dem schriftlichen Rassestandard entsprechen, die um den Ausstellungsring schweben oder die Vorsteh-, Apportier- oder Hüteaufgaben erledigen, aber nicht für Hunde, die leicht erziehbar und sanft im Umgang mit Kindern sind. Hunde mit »Familienhundequalitäten« werden oft billiger verkauft als »Hunde mit Ausstellungsqualität«, als ob ein Hund, der das Leben einer Familie zur Hölle oder zum Himmelreich machen kann, irgendwie weniger wert wäre als einer, der Pokale gewinnt. Hunde mit Eignung zum Familienhund sind meistens genauso gesund wie Hunde mit Ausstellungsqualität, aber ihr Fell hat nicht die richtige Farbe oder der Fang ist zu schmal, um blaue Schleifen zu gewinnen, weshalb sie als Familienhunde verkauft werden.
Meiner Meinung nach ist für uns, die wir Hunde als unsere Gefährten im Haus halten, wichtig, dass sie gesund sind und niemand verletzen. Manche Züchter argumentieren, dass ihre Hunde nie auf einer Ausstellung gewinnen könnten, wenn sie ein schwaches Wesen hätten, aber leider muss ich sagen, dass ich sehr viele Hunde mit langer Ausstellungskarriere gesehen habe, die zwar auf Ausstellungen höflich waren, nicht aber zuhause. Trotzdem gibt es immer wieder Züchter, für die ein gutes Wesen das wichtigste Kriterium überhaupt ist, aber sie bekommen nicht viel Anerkennung oder Unterstützung dafür, obwohl wir wissen, dass Sanftheit durch sorgfältige Zuchtauswahl beeinflusst werden kann. (Erinnern Sie sich an das Experiment mit den zutraulichen Füchsen?) Ich kenne Züchter von Hütehunden, die gut zu gebrauchende Hunde für die Arbeit auf der Farm züchten: Sie können einen Bullen in die Nase beißen, wenn es sein muss, aber es würde ihnen im Traum nicht einfallen, nach einem Kind zu schnappen. Ich kenne Züchter von Ausstellungshunden, die es auf einen Sieg bei Westminster (die bedeutendste Hundeausstellung der USA, Anm. d.Übers.) anlegen, aber die nie einen Hund züchten würden, dem sie nicht ihre Enkel anvertrauen könnten. Dafür bekommen sie keine Pokale, Preisgelder oder Fernsehbeiträge: die sind reserviert für Hunde mit perfektem Körperbau und ausbalanciertem Gangwerk. Vielleicht wird es eines Tages Shows geben, die mit viel Glitzer und Glamour Züchter feiern, die sanfte, freundliche Hunde züchten – aber im Moment müssen künftige Hundebesitzer andere Kriterien als Ausstellungen und Wettkämpfe heranziehen, um sicher zu sein, einen guten Familienhund auszuwählen.
Natürlich wird das Verhalten eines Hundes nur zum Teil von seiner Genetik beeinflusst: Die Umwelt, in der er aufwächst, hat einen großen Einfluss darauf, ob er später einmal beißen wird oder nicht. Fast jeden Hund kann man zum Beißer machen und ich habe einige tragische Fälle von wirklich gutmütigen Hunden erlebt, denen einfach
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