Das Aschenkreuz
Catharina ihre Ausführungen beendet, «dass nun Hannes statt Diebold in die Fußstapfen des Vaters treten sollte. Doch der Junge ist –
war
viel zu weich für diese Aufgabe. Er wollte lieber Priester werden. Hat auch immer eifrig ministriert. Sonntags und feiertags zur Messe im Münster, und freitags in der Blutwunderkapelle.»
Bei dem Wort
Blutwunder
hatte die Meisterin verächtlich die Lippen gekräuselt. Sie hielt nicht viel von den aufsehenerregenden Ereignissen, die seit einigen Wochen wahre Menschenmassen zu der kleinen Kapelle Sankt Peter und Paul draußen vor der Stadt zogen, und bislang war Serafina noch nicht dazu gekommen, jenes Wunder selbst in Augenschein zu nehmen.
Vor dem Haus Zur Leiter lungerten noch immer etliche Schaulustige herum.
«Was stehlt ihr dem Herrgott den Tag?», fauchte Heiltrud sie an. «Geht heim zu euren Familien, statt euch am Leid andrer zu ergötzen.»
Darin musste Serafina ihr insgeheim recht geben. Sie holte tief Luft und schlug den vergoldeten Türklopfer gegen den Beschlag.
«Hoffentlich hat sich der Hausherr inzwischen beruhigt», murmelte sie. Heiltrud zuckte nur die Schultern und begann, an Serafinas Schleier und Gebände herumzuzupfen.
«Immer schauen deine Haarspitzen heraus», tadelte sie und verzog dabei ihren schmalen Mund. «Grad als ob du dich früher nicht hättest drum kümmern müssen, anständig auszusehen.»
«Was willst du damit sagen?» Serafina starrte sie an.
«Nun, ich wundere mich nur. Als Hausmädchen in feinen Schweizer Herrenhäusern hat man sich doch wohl um sein Äußeres kümmern müssen. Oder etwa nicht?»
Das war nicht die erste Bemerkung solcher Art. Ganz zu Anfang war Heiltrud über ihren Namen hergezogen: «Serafina – so heißt doch kein Mensch.» Und Serafina hatte ihr schnippisch erklärt, dass sie diesen Namen, der von einem sechsflügeligen Engel an Gottes Thron herrühre, seit ihrer Taufe trage und sie sehr zufrieden damit sei. Letzte Woche dann hatte Heiltrud vor den anderen gelästert, dass ihre neue Mitschwester sich erstaunlich schlecht in Schweizer Landen auskenne, wo sie doch jahrelang dort gearbeitet habe.
So langsam ärgerte es Serafina, dass Heiltrud sie nicht in Ruhe ließ mit ihren Sticheleien und ihrem wunderfitzigen Nachbohren bei allem und jedem. Sie wollte schon zu einer patzigen Entgegnung ansetzen, als sich die Tür, die in das mächtige Hoftor eingelassen war, öffnete.
«Dem Himmel sei Dank, dass Ihr zurück seid», begrüßte das Hausmädchen sie und führte sie durch die Hofeinfahrt. «Sie streiten sich und weinen seit Stunden, meine Herrschaften.»
«Streiten?»
Sie betraten das Stiegenhaus.
«Ja. Die Herrin will nicht glauben, dass Hannes Hand an sich gelegt hat. Sie will, dass der Leichnam noch von jemand anderem untersucht wird, aber der Herr ist nur wütend und furchtbar enttäuscht zugleich. Er denkt, der Hannes hätt sich vor der Verantwortung drücken wollen.»
«Und was glaubst du?»
Der Magd schossen die Tränen in die Augen. «Der Hannes war so ein braver Kerl. Nie und nimmer hätt der sich was angetan.»
Als sie den Flur des Obergeschosses durchquerten, vernahm Serafina aufgebrachte Männerstimmen hinter der verschlossenen Stubentür. Deutlich hörte sie Diebold und den Kaufherrn heraus.
«Ist die Hausherrin auch da drinnen?»
«Nein. Sie ist oben in der Kammer, bei der Totenwache. Der Hannes soll …», sie schluckte, «er soll gleich morgen früh abgeholt werden. Habt Ihr den Leichensack dabei?»
Unversehens wurde die Stubentür aufgerissen, und Magnus Pfefferkorn streckte den Kopf heraus. Von Catharina wusste sie, dass er etliche Jahre älter war als seine Ehegenossin, doch jetzt wirkte er gar wie ein welker, graugesichtiger Greis.
«Richte deiner Herrin aus», wandte er sich an die Magd, ohne sich um die Anwesenheit der Schwestern zu kümmern, «dass ich ihrem Wunsch nachgebe, damit endlich Ruhe ist. Ich lasse für morgen früh noch einmal den Ratsherrn kommen, zusammen mit dem neuen Stadtmedicus. – Aber sie braucht nicht glauben, dass da etwas anderes bei herauskommt.»
Serafina spürte, wie ihr bei dieser Nachricht ein Stein vom Herzen fiel.
Als sie die kleine Schlafkammer unterm Dach betraten, war der Raum vom Schein zahlloser Kerzen erleuchtet. Still kniete die Pfefferkornin auf dem Boden, über das Gesicht ihres Sohnes gebeugt. Serafina und Heiltrud ließen sich rechts und links von ihr nieder, während die Magd im Türrahmen stehen blieb.
«Der Hausherr lässt Euch
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