Das Auge Aldurs 3 - Der Riva Kodes
Zeiten, welche die Wanderung begleiteten, machte sich die Gegenwart Toraks, des Drachengottes von Angarak, kaum bemerkbar. Obwohl er ehemals jede Facette des angarakanischen Lebens bestimmt hatte, bereitete ihm die Verstümmelung, welche CTHRAG-YASKA ihm zugefügt hatte (den die Menschen im Westen den Orb oder das Auge Aldurs nennen), so großes Leid, daß er seine traditionelle Funktion als ›Kal‹, König und Gott, nicht mehr wahrnehmen konnte. Die Grolim-Priesterschaft, entmutigt durch die plötzliche Schwäche Toraks, war nicht in der Lage, das entstandene Vakuum zu füllen, und so fiel die Macht in Ermangelung einer Alternative in die Hände von Militärbefehlshabern. So kam es, daß die heranwachsende Nation des angarakanischen Volkes vom Militärhauptquartier in Mal Zeth aus regiert wurde. Als die Grolims sich wieder von ihrem Schock erholten, mußten sie feststellen, daß das Militär praktisch die Herrschaft über sämtliche Angarakaner an sich gerissen hatte. Die Grolims schüttelten ihre Lähmung ab und errichteten in Mal Yaska an der Südspitze der karandesischen Berge ein konkurrierendes Machtzentrum. Wären die Dinge so geblieben, wäre es unzweifelhaft zu einer Konfrontation zwischen Militär und Priesterschaft gekommen, die Angarak aller Wahrscheinlichkeit nach in den blutigen Wirren eines Bürgerkriegs vernichtet hätte.
Zu diesem Zeitpunkt jedoch raffte Torak sich auf, seine Autorität in ausreichendem Maße wiederherzustellen. In der Zeitspanne seiner Krankheit (vielleicht etwa ein Jahrhundert) war das Militär zum beherrschenden Teil der angarakanischen Gesellschaft geworden, und zum großen Verdruß der Grolim-Priesterschaft unternahm der erwachende Gott keinen Versuch, ihre absolute Vorherrschaft wiederherzustellen. Doch anstatt sich entweder in Mal Zeth oder der kirchlichen Hauptstadt Mal Yaska niederzulassen, zog Torak nach Nordwesten, um die heilige Stadt von Cthol Mishrak am nördlichen Rand des Camat-Distrikts zu errichten. An diesem Punkt sollte darauf hingewiesen werden, daß die religiösen Schriften dieser Periode nicht die ganze Geschichte wiedergeben. Im ›Buch Torak‹ wird behauptet, daß der Drachengott nach seiner Entstellung durch Cthrag-Yaska sein Volk nach Cthol Murgos brachte und eine Stadt bauen ließ. Die Schriften bleiben bezüglich des hundertjährigen Intervalls vage, in dessen Verlauf die Angarakaner sich über den nordwestlichen Quadranten Malloreas ausbreiteten, und implizieren, daß diejenigen, die dem entstellten Gott folgten, ganz Angarak gewesen seien. Weltliche Dokumente aus dieser Zeit enthüllen jedoch, daß kaum ein Viertel des angarakanischen Volkes Torak damals nach Cthol Mishrak folgte. Das Militär schützte die Notwendigkeit vor, den Rest der Nation zu verteidigen und zu regieren, und blieb in Mal Zeth; nicht anders die Grolim-Hierarchie, die unter dem gleichermaßen plausiblen Vorwand, die geistigen Bedürfnisse einer wachsenden und weit verstreuten Bevölkerung befriedigen zu müssen, weiterhin in Mal Yaska blieb, von wo sie eifersüchtig die kirchlichen Interessen gegen militärische Übergriffe verteidigte. Torak, der fast vollständig in seinen Versuchen aufging, die Kontrolle über den Orb zu gewinnen, schien gleichgültig gegenüber der Tatsache, daß die Mehrheit der angarakanischen Völker verweltlichte. Diejenigen, die ihm nach Cthol Mishrak folgten, rekrutierten sich im großen und ganzen aus den oftmals hysterischen, aus religiösen Fanatikern bestehenden Randgruppen, die man in jeder Gesellschaft findet. Da Toraks Aufmerksamkeit nahezu vollständig vom Orb beansprucht wurde, fiel die Verwaltung des alltäglichen Lebens in Cthol Mishrak seinen drei Jüngern zu, Ctuchik, Urvon und später Zedar. Dieses Dreigestirn bewahrte mit dem Eifer, der Jünger für gewöhnlich auszeichnet, streng die älteren Sitten und Gebräuche, wodurch sie die Gesellschaft in Cthol Mishrak in der gewissermaßen pastoralen Form einfroren, welche die angarakanische Kultur vor der Völkerwanderung nach Mallorea aufgewiesen hatte. Infolgedessen veränderte sich der Rest Angaraks als Reaktion auf den Druck von außen und ihre neue Umgebung, während die Gesellschaft in Cthol Mishrak und den umliegenden Gebieten statisch blieb. Es war just diese Diskrepanz, die am Ende zu der Spaltung führte, die Cthol Murgos und das moderne Mallorea voneinander trennt.
Die erzürnte Grolim-Hierarchie in Mal Yaska faßte dies als Usurpation der Militärs auf und begann bestimmte
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