Das Auge Aldurs 3 - Der Riva Kodes
gestohlen worden war, am morgigen Tage zurückgegeben werden solle. Und es gelang mir, in der Halle des rivanischen Königs zugegen zu sein, um diese Zurückerstattung zu bezeugen, denn ich glaubte, dies sei das Wunder, das zu bezeugen ich ausgesandt worden sei. Aber wisset, als das Kind, welches den Orb trug, und der junge Sendarer, welcher die Schritte des Kindes lenkte, die Halle betraten, wurde ich von religiöser Verzückung ergriffen, und völlig ungebeten senkte die Vision sich auf mich hernieder, und ich sah, daß der junge Sendarer vollständig in Licht gebadet war, und als das Kind ihm den Orb darbot, vernahm ich einen Chor aus Millionen und Abermillionen von Stimmen, der von dem fernsten aller Sterne widerhallte, und da wußte ich, daß Belgarion endlich gekommen war. Und als der junge Mann den Orb am Knauf des großen Schwertes befestigte und die Klinge aufflammte, um denen in der Halle und der ganzen Menschheit seine wahre Identität zu offenbaren, da dauerte meine Vision an, denn sehet, völlig unbeachtet von den anderen drehte das Kind sich um, welches den Orb getragen hatte, und ich sah sein Antlitz von unsäglicher Herrlichkeit verklärt, und ich wußte, daß ich das Antlitz eines der beiden Götter schaute, zwischen denen wir dereinst werden wählen müssen. Und was ich soeben gesehen hatte, ließ Schwärze vor meinen Augen aufsteigen, und ich fiel in Ohnmacht.
Wie im Traum wanderte ich durch die Marschen von Temba und gelangte schließlich zu einem Strand, an dem ein kleines Boot auf mich wartete. Und unaufgefordert ging ich an Bord des Schiffchens, welches mich sodann ohne Ruder und ohne Segel aufs Meer hinaustrug. Am Ende brachte das Boot mich zu einer Untiefe, und ich erblickte vor mir ein grimmiges Riff uralter Felsen, an denen die träge See in Gischtfetzen emporspritzte. Und wie ein Getriebener ging ich an jenem Riff an Land und schritt über eine Wildnis aus salzverkrusteten Felsen, bis ich schließlich zu einer Spalte gelangte, die sich bis in die Tiefen der Dunkelheit erstreckte.
Voller Furcht stieg ich in jene finstre Höhle hinab, und dort in jenem Dämmerschein erblickte ich die Ruinen eines uralten Tempels, und auf dessen Stufen erblickte ich die verschleierte und unter einer Kapuze verborgene Gestalt einer Frau. Und ihre Erscheinung ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Stumm deutete sie auf das Tempeltor und befahl mir einzutreten, und ich war unfähig, mich zu widersetzen, und tat, wie die Frau mich geheißen hatte.
In dem Tempel erblickte ich einen Altar, und auf diesem sah ich einen dunklen Stein von beträchtlicher Größe. Und ich fragte mich, warum ich an diesen Ort gebracht worden war. Doch während ich noch dort stand, kam die Frau näher, und auf ihren Armen trug sie ein Neugeborenes. Und als sie sich dem Altar näherte, begann der Stein darauf schwach zu glühen, und es schien, als könne ich plötzlich in den Stein hineinschauen, und was ich dort erblickte, entsetzte mich. Und die Frau streckte das neugeborene Kind von sich, als wolle sie es in den Stein pressen, und sehet, der Stein öffnete sich, um das Kind aufzunehmen. Doch plötzlich sah ich die grimmige Gestalt von Belgarion Gottbezwinger vor der Frau stehen. Sein Gesicht war qualvoll verzerrt, und aus seinen Augen stürzten Tränen, und er hob sein Flammenschwert, um Frau und Kind mit einem einzigen furchtbaren Schlag niederzustrecken. Und als ich aufschrie, um ihn davon abzuhalten, ließ der Klang meiner Stimme die Vision zerplatzen, die ungebeten über mich gekommen war, und ich erwachte mit lauten Schreien des Entsetzens. Doch wahrlich, ich sage dir, mein Bruder, meine Vision war kein leeres Hirngespinst, sondern die Wahrheit, so unverrückbar wie die Erde, auf der du stehst. Höre meine Worte, denn sie sind die Wahrheit. Die Untiefe und das Riff sind dort, und den Tempel in der Höhle gibt es wahrhaftig. Dereinst werden die Frau und das Kind und der Gottbezwinger selbst an diesen finsteren Ort kommen, und in diesem Augenblick muß die Wahl getroffen werden, denn dies ist das EREIGNIS, auf das sich seit Anbeginn der Zeit alles zubewegt. *
Wir brauchten drei Monate, um die Malloreanischen Evangelarien zu schreiben. Doch es war die Zeit und Mühe wert, da diese Evangelarien auf eine ziemlich obskure Art eine philosophische Grundlage für die ›Malloreon-Saga‹ schufen. Dies ist es, was Cyradis glaubte, und Cyradis war letztendlich der Kern der ›MalloreonSaga‹.
6 – EIN ABRIß DER JÜNGSTEN
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