Der letzte Single fangt den Mann
PROLOG
Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal stundenlang heulend in der Duschwanne eines Hotelzimmers sitzen würde.
Das Seltsame ist– in der ganzen Hysterie ist mir durchaus bewusst, dass diese Dramatik auch eine komische Seite hat. Ich weine herzzerreißend in meinem entsetzlichen Kummer, meine Kontaktlinsen schwimmen geradezu in der Tränenflut, und ich habe nicht die Kraft aufzustehen, das Wasser zuzudrehen und nach einem Handtuch zu greifen… trotzdem erkenne ich die Komik der Situation.
Ist es normal, dass man sich derart von der Realität losgelöst fühlt, wenn man Liebeskummer hat? Ist das überhaupt Liebeskummer? Gott, ich habe keine Ahnung.
Meine Gedanken wandern umher. Unweigerlich nehme ich wahr, wie gut das Duschgel riecht, und wünsche mir für zu Hause auch so einen breiten Tellerduschkopf, denn ein Weinkrampf unter dem armseligen Tröpfeln in einer kleinen weißen Badewanne ist so deprimierend.
Zu Hause, o Gott, zu Hause.
Die Realität holt mich ein, und ich fange wieder an zu schluchzen. Ich frage mich, was mein blaues Auge macht, aber ich traue mich nicht, in den Spiegel zu schauen. Ich schwöre, meine Mundwinkel hängen herunter, wenn ich so erschöpft bin. Neben all dem anderen, was das Leben mir aufbürdet (die Unfähigkeit, rechts von links zu unterscheiden, die Unfähigkeit, Lust von Liebe zu unterscheiden, die Unfähigkeit, Whisky zu trinken, ohne davon richtig betrunken zu werden), ist das einfach nicht fair.
Dieses ungute Gefühl, das ich seit Tagen habe, will nicht verschwinden. Ich frage mich, ob es jemals weggeht.
Ich drehe das heiße Wasser ein wenig mehr auf und rolle mich in der Duschwanne zusammen. Das ist sogar fast bequem. Die Dusche nimmt ungefähr die Hälfte des Bads ein, das, wie das Hotelzimmer selbst, schummrig und sexy in dezentem China-Stil eingerichtet ist– die vorteilhafte Beleuchtung flüstert mit einem vornehmen Akzent: » Fünf Sterne«.
Hey, wenn man schon einen Nervenzusammenbruch hat, dann kann man ihn auch im Mandarin Oriental in Hongkong haben.
Vielleicht sollte ich meine Schwester anrufen. Sophie. Sie war schon immer gut im Trösten. Das ist das Beste an kleinen Schwestern: Sie verbringen so viel Zeit damit, sich zu wünschen, die ältere Schwester zu sein (wenn sie darauf warten, auf die große Schule zu kommen, ohne Stützräder Rad zu fahren oder ihre Ohrläppchen durchstechen zu lassen– obwohl in unserem Fall die schlaue Sophie ihre Ohrlöcher am selben Tag bekam wie ich, ungeachtet der Tatsache, dass ich JAHRELANG darum betteln musste und ich dreizehn war und sie erst elf), dass sie am Ende viel klüger sind, als die ältere Schwester jemals sein wird. Sophie ist gerade in Chicago, dann ist es dort…
Oh, ich kann mir nie die Zeitunterschiede merken.
Ich weiß nicht einmal, wie spät es hier ist. Nachmittag?
Es hat den Anschein, als wäre die Sonne heute nicht richtig aufgegangen in Hongkong. Draußen ist es grau und feucht, und ein Gewitter liegt in der Luft. Ich liebe es, wenn das Wetter zu meiner Stimmung passt.
Ich glaube, ich bin es allmählich leid, in der Dusche zu sitzen. Vielleicht sollte ich mich wieder auf den Boden legen. Vorhin habe ich Stunden im Zimmer neben meinem geöffneten Koffer geheult. Ich schätze… Augenblick. War das meine Tür?
Ich starre ins Leere und lausche angestrengt.
Wieder klopft es, sehr laut und ungeduldig. Das ist nicht das höfliche Klopfen des Hotelpersonals.
Vielleicht ist er es! Wer sollte es sonst sein? Ja! Das muss er sein!
Ich rapple mich auf und stelle das Wasser ab, rufe laut » Ich komme!«, schlüpfe in den Bademantel und eile an die Tür, während mir das Wasser aus den Haaren ins Gesicht tropft. Ich wusste, er würde herausfinden, dass ich hier bin, ich wusste, es war ein Fehler, ich wusste…
Ich bin verblüfft. Das ist nicht der Mann, den ich erwartet habe.
» Was machst du denn hier?«, bringe ich heraus.
» Und was machst du hier?«, erwidert er verärgert. » Scheiße, was ist mit deinem Gesicht passiert?«
» Ich bin in eine Prügelei geraten«, antworte ich ironisch, während er sich hereindrängelt und die Tür hinter sich zuknallt.
» Wir müssen Sophie und deine Eltern anrufen, sofort«, sagt er.
Ich seufze. » Warum?«
» Weil du seit zwei Tagen verschwunden bist? Weil du um die halbe Welt fliegst, ohne jemandem zu sagen, wo du bist oder was du machst? Weil dein verdammtes Handy ständig aus ist?«
» Der Akku ist leer«, sage ich auf eine sehr spöttische Art,
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