Das Auge des Basilisken
eines Menschen, der eine Bürde von sich legt. Agatha Tabidze stand neben ihr, und auch sie weinte, aber sie weinte immer bei Begräbnissen, selbst solchen von Menschen, die ihr nicht sonderlich viel bedeutet hatten. Tatjana Petrowsky, auf Elizabeths anderer Seite, war die einzige Anwesende, die wahre Tränen des Kummers vergoß, wie sie auch die einzige Person auf der Welt war, die auch dann um Alexander getrauert haben würde, wenn er seinen Vater erschossen hätte. Sie grämte sich auch um Nina, die zwar noch lebte, ihr aber nicht viel weniger fern war und darum in ihren Gedanken größeren Raum einzunehmen begann. Ihr überlebender Sohn, Basil, erst an diesem Morgen mit dem Flugzeug aus der Mandschurei eingetroffen, hielt ihr die Hand, weinte aber nicht. Sergej Petrowsky weinte auch nicht. Noch trauerte er; er war vollauf mit dem schlechten Gewissen beschäftigt, das ihn plagte.
Die Soldaten marschierten gemessenen Schritts hinaus. Unteroffizier Ulmanis führte Polly am Zügel. Ihr Zaumzeug und Sattel waren mit Trauerflor behangen. Die Ehrenwache erreichte die Straße, und die Menge der Trauergäste begann sich zu verlaufen. Es war ein kühler Tag mit kleinen Regenschauern. Kitty Wright hatte eben das Friedhofstor durchschritten, als ein junger russischer Offizier auf sie zutrat.
»Guten Tag«, sagte er; »darf ich mit Ihnen sprechen?«
Sie nickte ihr Einverständnis.
»Danke. Sind Sie nicht Kitty? Alexanders Mädchen? Mein Name ist Dmitri. Dies muß ein trauriger Tag für Sie sein.«
»Ja, das ist er.« Es war ein trauriger Tag; nicht ein unangenehmer oder schwieriger Tag, aber ein trauriger.
»Ich mochte ihn. Ich kannte ihn nicht gut, aber ich hielt ihn für einen guten Kerl. Kommen Sie mit zum Haus, auf ein Glas? Wir sind alle eingeladen.«
»Ich nicht.«
»Doch, Sie auch; ich lade Sie ein. Niemand wird Anstoß daran nehmen. Alles wird mit der Zeit einfacher und leichter.«
»Einverstanden«, sagte Kitty. »Ich würde es gern sehen. Er brachte mich nie hierher, aber er sprach darüber. Ich bin neugierig, ob es sein wird, wie ich es mir vorgestellt habe.«
Sie warteten, bis mehr Leute den Friedhof verlassen hatten, dann gingen sie langsam die Mauer entlang zur Seitenfront der Kirche. Über die bröckelnde Krone hinweg sahen sie noch einmal das Grab. Die Öffnung war bereits aufgefüllt, und die Totengräber klopften die aufgeschüttete Erde mit ihren Spaten fest. Etwas, das sie an jenem Abend im Theater gehört hatte, kam Kitty wieder in den Sinn, etwas über jemanden, der starb und zu Sternen wurde, und über den Himmel verstreut. Mit aller Konzentration, der sie fähig war, versuchte sie sich auf den genauen Wortlaut zu besinnen, oder wenigstens auf einige Worte, nur einen Satz, aber sie war Anstrengungen dieser Art nicht gewohnt. Sie versuchte es noch einmal; beinahe gelang es ihr, das Zitat zusammenzubringen. Nein. Es war verloren.
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