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Das Auge des Basilisken

Das Auge des Basilisken

Titel: Das Auge des Basilisken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kingsley Amis
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Gnaden.«
    »Schicken Sie jemand, daß er Polly in den Stall bringt und versorgt, ja?«
    »Wo ist sie, Herr?«
    »Wo sie in solchen Fällen immer ist, in Gottes Namen – drüben beim kleinen Tempel.«
    »Jawohl, Herr, ich werde dafür sorgen. Überlassen Sie es mir, Exzellenz.«
    Der junge Mann schritt durch den Gartensaal in die Eingangshalle und erreichte den Fuß der eindrucksvollen Treppe. Hier stand ein Sockel, der eine Alabastervase trug, vielleicht die Überlebende eines Paares, denn auf der anderen Seite des Treppenaufgangs war ein zweiter Sockel, dem die schmückende Zutat fehlte. Im Obergeschoß gab es, sobald man die leeren Nischen am Kopf der Treppe hinter sich ließ, in der anschließenden, die ganze Breite des Gebäudes durchlaufenden Galerie vor dem Hintergrund der unbedeutenden Reste einer Wandvertäfelung drei weitere Kunstgegenstände aus der Vergangenheit: ein Gemälde von zwei beinahe nackten Kindern und einem Lamm, einen großen Wandteppich, der die Begegnung zweier exaltiert gestikulierender Personen aus alter Zeit zeigte, die vielleicht ein legendäres Königspaar sein mochten, und das Porträt einer Frau Mitte der Dreißig, ohne Zweifel ein seit langem dahingeschiedenes Mitglied der Familie, die einst Eigentümerin dieses Besitzes gewesen war. Diese Kunstgegenstände waren ebenso wie die Vase erst vier Jahre zuvor durch Zufall in einem übertapezierten Wandschrank entdeckt worden. Was es in dem Schloß sonst noch an beweglicher Habe gegeben hatte, war selbst wenn es nur unter Aufbietung wahrhaft herkulischer Anstrengungen hatte bewegt werden können, spurlos verschwunden.
    Solch absonderliche Relikte machten auf den jungen Mann in seiner gegenwärtigen Stimmung keinen Eindruck. Als er die auf einer Seite von hohen Bogenfenstern erhellte Galerie durchwanderte, eine hohe schlanke Gestalt von momentan aufrechter Haltung und festem Schritt, blickte er mit dem gleichen halb abwesenden Blick durch das unvollkommene Glas (es war nicht das ursprüngliche Glas) hinab, den er gezeigt hatte, als er auf die Schafe zugaloppiert war, und tatsächlich waren seine Gedanken nicht so sehr bei dem, was er sah, als vielmehr bei dem, was es nach seiner Kenntnis hier gegeben hatte: den halbkreisförmigen Teich mit Marmorstufen an beiden Enden der Grundlinie und einer Bronzestatue in deren Mitte, jenseits davon eine Allee schlanker Zypressen, vierhundert Meter entfernt ein kleiner See, genau ausgerichtet auf die Mittelachse des Schlosses, alles gesäumt von sorgfältig beschnittenen Buchsbaumhecken, steinernen Statuen und einer niedrigen Mauer, die mit kleinen steinernen Löwen bekrönt war. Der Teich und der See waren noch da, alles andere aber war verschwunden. Schatten lagen über dem Vordergrund des Ausblicks, als die Sonne hinter dem Gebäude zum Horizont sank.
    Er wandte sich mit seiner gewohnheitsmäßigen Abruptheit um und ging in das Zimmer, das zu seiner Linken gewesen war. Der Boden war mit Segeltuch bedeckt, auf dem man schwere dunkelfarbene Teppiche ausgelegt hatte. Zahlreiche Gemälde weit jüngeren Datums als in der Galerie schmückten die Wände: Winterlandschaften, fröhliche Landleute, Stilleben mit einfachen Dingen wie Brot, Kartoffeln und Zwiebeln, militärische Szenen. Das Mobiliar bestand aus einem Toilettentisch, einem Schreibtisch, einem Bücherschrank, der zur Hälfte gefüllt war mit Romanen vergessener Schriftsteller, Schauspielen, Gedichtsammlungen und militärischen Handbüchern, Stühlen und einem Bett, alles aus Birke. Auf dem Schreibtisch stand eine geöffnete Flasche mit wasserhellem Schnaps und ein kunstvoll graviertes Glas. Der junge Mann schenkte sich einen Zehntelliter ein und stürzte ihn in einem Zug hinunter. Darauf bekam er einen Hustenanfall, daß er rot im Gesicht wurde, öffnete die beinernen Knöpfe seines hochgeschlossenen grauen Uniformrocks, zog ihn ungeduldig über die Schultern, warf ihn beiseite und ließ sich bäuchlings auf das Bett fallen, wo er bewegungslos liegenblieb.
    Kaum eine Minute war vergangen, als behutsam an die Tür geklopft wurde. Er hob den Kopf aus dem Kissen und drehte ihn auf die Seite.
    »Wer ist da?«
    »Kann ich dich sprechen, Alexander?«
    »Ja, komm nur herein, Mama!«
    Eine gutaussehende Frau von ungefähr fünfzig Jahren, ziemlich klein und mit gebeugten Schultern, betrat den Raum. Sie hatte einen Flechtkorb voll rosaroter Rosen am Arm und runzelte die Stirn in einer Weise, die eher Besorgnis als Verdrießlichkeit anzeigte, und überhaupt

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