Das Auge des Basilisken
Oberstleutnant Tabidze anhielt. Sechs Mann saßen ab, traten zu dem von zwei Pferden gezogenen offenen Pritschenwagen und hoben unter Ljubimows Anleitung den Sarg auf die Schultern. Sorgsam, aber nicht sehr geschickt, hielten sie ihren Einzug in das Friedhofsgeviert, während ein Kontingent der Regimentskapelle einen Trauermarsch spielte.
Lomow war nicht unter den sechs Sargträgern; er hatte sich nicht freiwillig gemeldet und war in jedem Fall zu klein. Er blieb draußen in soldatischer Haltung auf dem Pferd sitzen und hielt Ljubimows Reittier am Zügel. Als er das letzte Mal hier gewesen war, hatte er sich in einem Zustand innerer Zerrissenheit befunden und mit den Tränen gekämpft. Er hatte militärischen Vorschriften zuwidergehandelt, den Befehl eines Vorgesetzten verweigert, einen harten Geländeritt hinter sich gehabt, zwei seltsame Erscheinungen gesehen (oder vielleicht nicht gesehen) und hatte schließlich in letzter Sekunde die Gefahr abgewendet, sich der Beihilfe zum Mord schuldig zu machen. Immer ein schneller Denker, hatte er augenblicklich und richtig vermutet, daß die Errettung Petrowskys vom sicheren Tod seine Rechnung mit der Armee ausgleichen werde; und Ljubimows obendrein. Jetzt beglückwünschte er sich zu der Neugierde, die ihn gerade noch rechtzeitig zum Haus geführt hatte, und hielt ein selbstzufriedenes Lächeln zurück. Im Ganzen gesehen, tat es ihm leid, daß der Fähnrich tot war, aber er war für einen guten Offizier zu sprunghaft und unberechenbar gewesen. Es war aufregend, mit ihm Geländeritte zu machen, aber er war leicht verstimmt und konnte dann gefährlich werden; genaugenommen war er zu allen Zeiten gefährlich gewesen.
Einige Mitglieder des Regiments hatten dem Begräbnis als Privatpersonen beiwohnen wollen, sei es aus einem inneren Bedürfnis heraus, sei es aus purer Neugierde, und standen hier und dort auf dem Friedhof herum: Viktor, Boris, Dmitri und andere. Auch Major Yakir war anwesend, jedoch in seiner Eigenschaft als der Schwadronschef des Verblichenen. Viktor hatte seinen Standort mit einiger Umsicht in einem Winkel der Friedhofsmauer gewählt, wo alle anderen in der Nähe ihm den Rücken zukehrten und er unbemerkt seine Taschenflasche mit Wodka zum Munde führen konnte. Als der Friedhof sich füllte, suchten andere Trauergäste Plätze in seiner Nähe. Am nächsten war ihm eine Frau, die ein sonderbares schwarzes Kleid und einen Hut dazu trug. Sie war offenbar allein, ungefähr Mitte der Dreißig, und hatte einen bemerkenswerten Busen, der in sein Blickfeld rückte, als sie sich halb umwandte und ihn ansah. Danach trat sie einen oder zwei Schritte zurück, bis sie fast auf Tuchfühlung mit ihm stand. Er hatte gerade einen schnellen Zug aus der Flasche tun wollen, weil er die Gelegenheit günstig wähnte, als er sich unversehens verschluckte und krampfhaft zu husten begann. Seine Empfindungen von Kummer um den Verstorbenen, die niemals tief gewesen waren, lösten sich völlig auf.
Der Sarg wurde ins Grab gesenkt. Oberstleutnant Tabidze salutierte und ließ die Hand ungewöhnlich lange am Mützenschirm, während alles in pietätvollem Stillschweigen verharrte. Dann ließ er die Hand sinken, trat einen Schritt vor und begann zu sprechen.
»Wir stehen heute am Grab eines tapferen jungen Offiziers, der sein Leben für das Vaterland und, durch eine unerwartete Wendung des Schicksals, für seinen Vater hingab. Inmitten unserer Trauer können wir nur Befriedigung darüber empfinden, daß die für diese Schändlichkeit verantwortlichen Meuchelmörder gefaßt und ihrer Bestrafung zugeführt worden sind. Mögen ihre Namen in Schande vergehen. In Ihrem Opfer, Alexander Petrowsky, haben Rußland und England einen guten Freund verloren. Seine Eltern, denen unser Mitgefühl und unsere Zuneigung gilt, haben den besten aller Söhne verloren. Wer die Familie kennt, weiß, wie sehr Alexander seine Eltern verehrte. Als einer, der ihn sein Leben lang kannte und während der ganzen Dauer seiner so abrupt beendeten Offizierslaufbahn sein kommandierender Offizier war, bin ich vielleicht besonders befähigt …« Mittlerweile hatten beinahe alle Anwesenden aufgehört, der Ansprache zu lauschen. Mit Ausnahme einiger weniger hatten sie die ersten Worte des Obersten mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt, in der Hoffnung, einen Hinweis auf die Wahrheit über Alexanders Tod darin zu finden, der sich nach einhelliger Auffassung nicht so zugetragen haben konnte, wie offiziell verlautbart worden
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