Das Auge des Leoparden
Schweiß in Strömen herab, fremde Gerüche steigen ihm in die Nase. Der Stempel, den er schließlich in seinen Paß gedrückt bekommt, steht auf dem Kopf, und er sieht, daß man ein falsches Ankunftsdatum eingetragen hat. Eine unfaßbar schöne Afrikanerin drückt ihm ein neues Formular in die Hand. Flüchtig berührt er ihre Hand und gibt wahrheitsgetreu den Geldbetrag in ausländischer Währung an, den er einführt. Am Zoll herrscht ein scheinbar unüberwindliches Chaos. Taschen werden von rasselnden Wagen heruntergeworfen, die von erregten Afrikanern geschoben werden. Zwischen Pappkisten, die fast auseinanderfallen, findet er schließlich seinen eingedrückten Koffer, und als er sich bückt, um ihn herauszuziehen, trifft ihn ein Schlag in den Rücken, so daß er auf dem Bauch landet. Als er sich umdreht, ist niemand da, der ihn um Entschuldigung bitten würde, niemand scheint aufgefallen zu sein, daß er gefallen ist. Die wogende Menschenmenge drängt auf die Zollbeamten zu, die alle wütend anweisen, das Gepäck zu öffnen. Er wird von der wogenden Bewegung aufgesogen und hin und her geschoben wie eine Spielfigur. Von einer Sekunde zur nächsten sind alle Zollbeamten verschwunden, und niemand verlangt mehr von ihm, seinen zerbeulten Koffer zu öffnen. Ein Soldat mit Maschinengewehr und ausgefranster Uniform kratzt sich mit dem Gewehrlauf an der Stirn. Hans Olofson schätzt den Soldaten auf höchstens siebzehn Jahre. Eine rissige Schwenktür wird aufgeschlagen, und nun betritt er wirklich afrikanischen Boden. Zeit zum Nachdenken bleibt ihm allerdings nicht. Gepäckträger zerren an seinem Koffer und an seinen Armen, Taxifahrer bieten ihm schreiend ihre Dienste an. Er wird zu einem unbeschreiblich klapprigen Auto gezogen, auf dessen Tür jemand in verlaufenen grellbunten Buchstaben das Wort TAXI gemalt hat. Sein Gepäck wird in einen Kofferraum gestopft, in dem bereits zwei Hühner mit verschnürten Beinen liegen; der Kofferraumdeckel wird von einem kunstvoll verknoteten Stahldraht an Ort und Stelle gehalten. Stolpernd landet er auf einer Rückbank ohne jegliche Polsterung und hat das Gefühl, direkt auf der Erde zu sitzen. Ein leckender Plastikkanister mit Benzin stößt gegen sein Knie, und als der Taxifahrer mit einer brennenden Zigarette im Mund auf dem Fahrersitz Platz nimmt, hat Hans Olofson bereits angefangen, Afrika zu hassen.
Dieser Wagen wird nie und nimmer anspringen, denkt er verzweifelt. Noch ehe wir das Flughafengelände verlassen haben, wird das Auto in die Luft gehen … Er sieht, daß der Taxifahrer, kaum älter als fünfzehn, zwei lose Stromkabel neben dem Lenkrad miteinander verbindet. Der Motor erwacht widerwillig zum Leben, und der Fahrer dreht sich lächelnd zu ihm um und fragt, wohin die Fahrt gehen soll.
Nach Hause, würde er am liebsten antworten. Oder doch wenigstens fort, fort von diesem Kontinent, der ihn völlig hilflos macht, der ihm jedes Hilfsmittel zum Überleben entreißt, das er sich im Laufe seines bisherigen Lebens angeeignet hat.
Sein Gedankengang wird dadurch unterbrochen, daß er plötzlich eine Hand auf seinem Gesicht spürt, die zum Seitenfenster hereingesteckt wird. Er zuckt zusammen, dreht sich um und schaut in zwei tote Augen: eine blinde Frau, die ihn abtastet und Geld haben will.
Der Taxifahrer brüllt etwas in einer Sprache, die Hans Olofson nicht versteht, die Frau antwortet mit Schreien und Jammern, und Hans Olofson sitzt auf dem Boden des Autos und kann nicht das geringste tun. Mit einem Kavaliersstart schüttelt der Taxifahrer die bettelnde Frau ab, und Hans Olofson hört sich rufen, daß er zu einem Hotel in der Stadt gefahren werden möchte.
»Aber es darf nicht zu teuer sein«, schreit er.
Die Antwort des Taxifahrers erreicht ihn nicht. Ein Bus mit stinkenden Auspuffrohren und laut brüllendem Motor schiebt sich an ihnen vorbei und übertönt seine Stimme.
Hans Olofsons Hemd ist schweißverklebt, er hat Rückenschmerzen von der unbequemen Sitzhaltung und denkt, daß er wohl besser einen Preis ausgehandelt hätte, ehe er sich in den Wagen zerren ließ.
Unvorstellbar heiße Luft strömt, angereichert mit geheimnisvollen Düften, über sein Gesicht. Eine sonnendurchtränkte Landschaft, deren Anblick an ein überbelichtetes Foto erinnert, rauscht an seinen Augen vorbei.
Das überlebe ich nie, denkt er. Ich werde bei einem Autounfall umkommen, ehe ich überhaupt begriffen habe, daß ich tatsächlich in Afrika bin. Als hätte er mit diesem Gedanken eine
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