Das Bernsteinerbe
der Stadt hinaustragen lassen, um das Gerücht vom Ausbruch der Pest zu verbreiten. Daraufhin seien die Kurfürstlichen aus Furcht vor Ansteckung unverrichteter Dinge wieder abgezogen, um am 25. Oktober 1662 unter Anführung des Großen Kurfürsten höchstpersönlich in die Altstadt einzuziehen. Von dreitausend Mann ist die Rede, die unter feierlichem Salut seitens der Altstädter Bürger empfangen werden. Am 30. Oktober bestellt Friedrich Wilhelm die Räte der drei Städte zu sich ins Schloss und lässt den Kneiphofer Schöppenmeister Hieronymus Roth noch am selben Tag von einem Dragonerkommando verhaften. Damit ist der Widerstand der Königsberger gebrochen. Roth bleibt bis zu seinem Tod im Jahr 1678 in Haft, die Königsberger Städte hingegen huldigen dem Großen Kurfürsten im Oktober 1663 untertänigst im Schlosshof. Friedrich Wilhelm besiegelt damit seinen absolutistischen Machtanspruch und legt den Grundstein für die Amtszeit seines Sohnes, Friedrich III., der sich 1701 als Friedrich I. in Königsberg eigenhändig zum ersten König in Preußen krönt.
Die Ereignisse des Herbstes 1662 liefern in leicht abgewandelter Form den historischen Hintergrund für den vorliegenden Roman. Frei erfunden ist die im Prolog beschriebene Versammlung der Kneiphofer Stände im Junkergarten, auf der die siebzehnjährige Romanheldin Carlotta die List mit den leeren Särgen vorschlägt. Ebenso sind die meisten Figuren und ihre weiteren Erlebnisse fiktiv. Allerdings hat neben dem bereits erwähnten aufrührerischen Schöppenmeister Hieronymus Roth (1606–1678) ab 1643 tatsächlich der Sohn des berühmten Johannes Kepler, Ludwig Kepler (1607–1663), als Stadtphysicus der Altstadt sowie als kurfürstlich brandenburgischer Leibarzt am Pregel gewirkt. Dessen Großmutter – und Mutter Johannes Keplers – Katharina, die als »weise Frau« wirkte, wurde 1615 in Württemberg als Hexe angeklagt und 1620 freigesprochen. Ludwig Keplers Sohn Christoph dagegen ist frei erfunden. Historisch nachweisbar ist neben Fürst Boguslaw Radziwill (1620–1669) als kurfürstlichem Statthalter in Königsberg auch dessen Leibarzt Albrecht Lange (1619–1686), der zuvor Feldarzt in der französischen Armee gewesen war. Belegt ist zudem ein gewisser Caspar Pantzer als Apotheker aus dem Löbenicht. 1648 hat er vor dem erlauchten Kreis der Universitätsgelehrten die Mischung seines Theriaks vorgeführt und zudem das Privileg der Hofapotheke erhalten. Nach seinem Tod gab es zunächst über Jahrzehnte keine privilegierte Apotheke mehr, was zu Spannungen innerhalb der Apothekerschaft sowie mit dem kurfürstlichen Hof führte. Im Roman trägt der fiktive Sohn den gleichen Namen wie sein Vater. Der Königsberger Barockdichter Simon Dach (1605–1659) hat Pantzers Theriak in einem seiner Gedichte gepriesen. Auch ein Apotheker Georg Heydrich wird in den Annalen erwähnt. Er durfte 1662 an der Albertina feierlich die Mischung seines Theriaks vorführen.
Der Wirklichkeit weitestmöglich angenähert ist die Darstellung Königsbergs und seiner Umgebung. Sie beruht auf Berichten und Abbildungen aus der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, die recht zahlreich überliefert sind. Die Wiedergabe der eingestreuten Sinnsprüche auf Königsbergs Häusern und in der Börse folgt einer zeitgenössischen Beschreibung Caspar Steins aus dem Jahr 1644.
Aus den überlieferten Beschreibungen ergibt sich ein anschauliches Bild vom Wesen der damaligen Königsberger. Mit einer gewissen Schlitzohrigkeit und einem ganz eigenen Witz behaftet, wissen sie ihre Sonderrolle im Herzogtum Preußen zu behaupten. So scharf sie ihre Position stets in Worte zu fassen wissen, so vehement lehnen sie den Griff zur Waffe im entscheidenden Moment jedoch ab. Gern wahren sie ihre (geistige) Unabhängigkeit, ungern aber stürzen sie sich in offenen, gar handgreiflichen Streit. Diese Eigenheit scheinen sie sich nicht nur über die Jahrhunderte hinweg bewahrt zu haben, sie ist selbst im heutigen Kaliningrad (wieder) zu beobachten. Mögen die kläglichen Überreste der einst blühenden Stadt am Pregel erschrecken, so erfreulich ist andererseits zu beobachten, mit welchem Selbstbewusstsein sich die Kaliningrader von heute auf die (preußische) Geschichte ihrer Stadt besinnen und mit welchem Geschick sie diese gegenüber anderen Interessen zu verteidigen wissen.
Glossar
Akzise: Verbrauchssteuer, die auf Güter des täglichen Bedarfs erhoben wird
Albertina: von Herzog Albrecht von Brandenburg-Ansbach 1544
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