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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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uns die Kurfürstlichen vom Hals schaffen können.«
    »So?« Ungläubig musterte Roth sie. Ihr Herz pochte. Sie empfand größten Respekt vor dem tapferen Mann, der mit seiner geheimen Reise nach Warschau sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte. Friedrich Wilhelm bezichtigte ihn seither des Hochverrats. Dennoch kämpfte er weiter für die Rechte der Stände und gegen die dreisten Ansprüche des Brandenburgers.
    Haltsuchend umklammerte Carlotta den Bernstein an der Lederschnur um ihren Hals. Dank ihrer Kindheit im kaiserlichen Heerestross und der Erlebnisse während des Nordischen Krieges wusste sie die tapfere Aufrichtigkeit solcher Männer zu schätzen und wollte dem Schöppenmeister unbedingt zur Seite stehen.
    »Bitte«, sagte er und half ihr auf die Bank.
    Kaum stand die schmächtige Rotblonde neben dem großgewachsenen Schöppenmeister, wurde es wieder still unter den Linden. Lediglich das Schnattern der Enten am nahen Flussufer und das muntere Plätschern des Wassers im steinernen Bassin waren zu hören. Als Carlotta der gebannten Aufmerksamkeit der versammelten Bürger gewahr wurde, musste sie schlucken. Etwas hastig und in zu schrillem Ton hub sie an: »Seit Tagen werde ich als Wundärztin ungewöhnlich häufig zu Schwerkranken gerufen. Doch …«
    Weiter kam sie nicht.
    »Schwerkranke?«
    »Heißt das, die Pest ist ausgebrochen?«
    »Warum sagt uns das niemand?«
    Carlotta erschrak. Das hatte sie nicht gewollt. Hilflos schaute sie zu Roth. »Ruhe!«, rief der Schöppenmeister in den Lärm hinein. Sofort wurde es leiser. »Niemand hat etwas von der Pest gesagt. Lasst sie bitte erst ausreden.«
    Ermutigend klopfte er ihr auf die Schulter. Dankbar nickte sie ihm zu und versuchte es ein zweites Mal: »Es ist wohl eher die unerträgliche Hitze denn die Pest, die unsere Mitbürger derzeit dahinrafft wie die Fliegen.« Das anschwellende Gemurmel signalisierte Erleichterung. Eine beschwichtigende Geste seitens Roths genügte, um für Ruhe zu sorgen. »Aber warum sollten wir die Menschen draußen vor den Toren der Stadt nicht in dem Glauben belassen, bei uns grassiere die Pest?«
    Empörung wurde laut.
    »Warum das?«
    »Ohne Not soll man nicht lügen.«
    »Wenn wir das tun, will niemand mehr unsere Waren kaufen.«
    »Das bringt uns nur Unheil.«
    »Keine Sorge«, rief Carlotta in den Lärm hinein. »Es wird nicht von langer Dauer sein. Unsere Notlage rechtfertigt diese Lüge.«
    »Ihr seid viel zu jung, um das abschätzen zu können«, erklangen von neuem Widerworte. Auch dieses Mal genügte es, dass Roth die Hand hob, um Ruhe einkehren zu lassen.
    »Bedenkt, was passiert, wenn es heißt, bei uns grassiere die Pest.« Carlotta wagte ein scheues Lächeln. »Glaubt ihr, ein einziger von Friedrich Wilhelms Söldnern marschiert noch freiwillig in unsere Stadt? Vom Kurfürsten selbst ganz zu schweigen.«
    Damit hatte sie den Nerv getroffen. Hämisches Gelächter erklang.
    »Der wird als Erster weglaufen.«
    »Ein rechter Hasenfuß ist er, das haben wir doch schon immer gewusst.«
    »Wie aber soll das gehen?«, übertönte Schimmelpfennig die anderen. »Das Gerücht allein wird nicht genügen. Der Kurfürst ist nicht dumm. Gleich wird er begreifen, was dahintersteckt.«
    »Deshalb sollten wir gut sichtbar Särge aus der Stadt hinaustragen.« Carlotta staunte selbst, wie ruhig ihr das von den Lippen kam. »Natürlich brauchen wir keine wirklichen Toten, leere Särge genügen für diesen Zweck. Gleich morgen früh schaffen wir sie unter großem Aufwand aus der Stadt. Dank der Pestmasken und der bodenlangen Umhänge machen die Träger deutlich, welcher Art ihre Last ist. Auch eine Handvoll Fackelträger und ein paar Klageweiber sollten nicht fehlen. Am besten ziehen sie durch das Brandenburger Tor in der Haberbergschen Vorstadt hinaus. Gewiss hat der Kurfürst in der Nähe Späher postiert. Sie werden nichts Eiligeres zu tun haben, als ihren Truppen von dem Ausbruch der Pest zu berichten. Jede Wette, dass binnen Stunden zum Rückzug geblasen wird.«
    Eisiges Schweigen breitete sich im Junkergarten aus. Carlotta wurde flau. Bang wanderte ihr Blick von einem zum anderen. Der glatzköpfige Schimmelpfennig studierte angestrengt seine Stiefelspitzen, der alte Grünheide lächelte wohlwollend, aber stumm aus dem wettergegerbten Gesicht. Neben ihm schnaubte der stämmige Farenheid entrüstet auf. Der rotbärtige Gellert hielt sich verlegen dicht auf der anderen Seite. Emsig polierte Kaufmann Boye seine runden Brillengläser. Das

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