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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Umgebung. Natürlich kannte er Rogowskij, immerhin hatte er den bekannten Experten dreimal gesehen und gesprochen. Einmal als er andächtig vor einem Bild von Tizian saß, das zweitemal im Saal der Impressionisten und zum letztenmal vor einem Leonardo da Vinci. Unterhalten hatte man sich, natürlich nur über Bilder und ihre genialen Maler. Wer verrät denn in solch einem Gespräch, daß er eine Tochter hat, die Jana heißt?
    »Weiter«, sagte Sinowjew, etwas milder gestimmt. »Was will die Tochter von Rogowskij bei den Deutschen?«
    »Verlobt bin ich mit Nikolaj Michajlowitsch Wachterowskij.«
    »Kein Begriff ist mir dieser Name.«
    »Er ist der Sohn von Michail Igorowitsch Wachterowskij.«
    »Auch den kenne ich nicht.«
    »Eigentlich heißt er Michael Wachter. Das Bernsteinzimmer in Puschkin betreut er.«
    Sinowjews Kopf schnellte vor. Sein Oberkörper lag jetzt wie zum Sprung geduckt über der Karte, und um seine Augen begannen die Muskeln zu zucken. »Das Bernsteinzimmer betreut er? Wie soll man das verstehen?« sagte er. Der Klang seiner Stimme war höher als sonst, wie Kowaljow erstaunt feststellte.
    »Ich werde es Ihnen erzählen, Genosse General.« Jana sah sich um. Plötzlich zitterten ihre Knie, sie konnte kaum noch stehen. Er glaubt mir, dachte sie und mußte sich an Kowaljow festhalten. Nicht erschossen werde ich, das Leben darf ich behalten, meinen Auftrag kann ich ausführen. Vor ihren Augen begannen sich der General, der Schreibtisch, die Fenster, die Stuckarbeiten an Wänden und Decke zu drehen. Bevor Sinowjew reagieren konnte, stieß sie sich von Kowaljow ab, erreichte einen der mit rotem Brokat bezogenen, vergoldeten Stühle und ließ sich auf ihn fallen. »Eine … lange Geschichte ist es«, sagte sie und bemühte sich, trotz ihrer Schwäche deutlich zu sprechen. »Ein langes Erbe ist es, genau 225 Jahre alt.«
    »Erzählen Sie, Jana Petrowna.« Sinowjew winkte hinüber zu Kowaljow. »Hol Wodka, etwas zu essen, schnell.«
    Kowaljow nickte, machte kehrt und verließ das Zimmer. Was geht hier vor, dachte er, während er eine Ordonnanz rief und die Wünsche des Generals weitergab. Wieso ist plötzlich alles anders? Einen deutschen Soldatenmantel hat sie getragen, in einer Erdhöhle hat sie sich verkrochen. Kann man das vergessen? Und wenn sie Stalins Tochter wäre, wer zum Feind überläuft, gehört erschossen.
    »Es war unser Plan, daß ich mich von den Deutschen überrollen lasse«, sagte Jana Petrowna und lehnte den Kopf gegen die mit Damast bezogene Wand. »Nikolaj ist nach Leningrad gefahren, um seine Pflicht zu erfüllen und die Stadt zu verteidigen. Dreiundzwanzig Jahre ist er …«
    »Und Sie, Jana?«
    »Neunzehn. Wir lernten uns kennen vor zwei Jahren, als Nikolaj und sein Vater die Bernsteinschränke in der Eremitage besuchten. Wir waren sofort verliebt ineinander, und auch Väterchen hatte nichts gegen uns, als er erfuhr, wer Michael Wachter, Nikolajs Vater, war. Seit einem Jahr leben wir zusammen in Puschkin, in einem Seitenflügel des Katharinen-Palastes, dort, wo seit der Zeit der Zarin Elisabeth die Familie Wachterowskij, wie sie sich seit 225 Jahren nennt, wohnt.« Sie schloß die Augen. Daß man sie nicht mehr erschießen würde, erschütterte sie zutiefst. Sie hätte weinen mögen, aber nur ein Zittern durchlief ihren Körper. »Und dann stehen plötzlich die Deutschen vor Puschkin, Väterchen Michail hatte es immer geahnt, ganz sicher war er sich, als die Deutschen den Ilmensee und Nowgorod eroberten, die Luga überquerten und am Wolchow entlang nach Leningrad schwenkten. ›Sie werden auch Puschkin nicht verschonen‹, hatte Väterchen gesagt. ›Sie werden das Bernsteinzimmer wegschleppen, und niemand wird wissen, wohin es gekommen ist. Verloren wird es für immer sein. Warum kommt denn niemand und holt es aus Puschkin weg?‹ Telefoniert hat er, dreimal nach Leningrad ist er gefahren, aber dort waren sie beschäftigt, die größten Schätze der Eremitage und der anderen Museen in den Gewölben und der Isaaks-Kathedrale zu verstecken. Zu spät war es dann, als sie dann doch noch nach Puschkin kamen. Die Deutschen waren schneller. Nur die Bilder, Skulpturen, Möbel, Bücher, Teppiche und Porzellane konnten sie wegbringen. Für das Bernsteinzimmer blieb keine Zeit mehr.«
    »Ich weiß es.« Sinowjew blickte ungeduldig zur Tür. Wo blieb der Wodka, das Essen. Es konnte doch nicht so schwer sein, etwas Eßbares herzubringen! »Mit Marschall Schukow habe ich darüber gesprochen. Er

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