Das Beste aus 40 Jahren
Stirn.
Endlich kam die Verbindung zustande, eine Frauenstimme meldete sich auf Französisch.
„Oui? Mas St. Salvador. Wer spricht dort?“
Diannes Stimme streikte, doch dann gelang es ihr, krächzend zu fragen: „Madame – St. Salvador?“
„Nein, hier ist Jeanne. Wollen Sie Madame St. Salvador sprechen?“
„Nein, nein!“, wehrte Dianne ab. „Eh – Monsieur St. Salvador, Monsieur Manoel St. Salvador – ist er da?“
Jeanne zögerte einen Augenblick. „Nein, Mademoiselle, er ist in Avignon.“
Dianne wurde das Herz schwer wie ein Stein. Manoel war in Avignon! Wie lange blieb er? Sie überlegte rasch. Sie konnte Jeanne, die alte Haushälterin, danach fragen; ob sie jedoch eine Antwort bekäme, war zweifelhaft. Schon spürte sie eine gewisse Zurückhaltung in der Stimme der alten Frau, die im nächsten Augenblick bestimmt danach fragen würde, wer Monsieur Manoel sprechen wollte.
Mit trockener Kehle sagte sie: „Merci – danke“, und legte auf, wobei sie bestürzt feststellte, dass sie am ganzen Körper zitterte.
Als sie die Telefonzelle verließ, stand der Hoteldirektor vor ihr. Er musterte sie besorgt, weil sie so blass war und ihre Augen unnatürlich glänzten.
„Ist etwas passiert, Mademoiselle?“, erkundigte er sich fürsorglich.
Es gelang Dianne, mit halbwegs natürlicher Gelassenheit den Kopf zu schütteln. „Nein – nein, nichts“, erwiderte sie hastig. „Ein schöner Tag, nicht wahr?“
„Ein schöner Tag“, wiederholte er nickend, und sie flüchtete in ihr Zimmer hinauf.
Als sie sich zum Lunch umzog, versuchte sie verzweifelt, ihre Lage abzuschätzen. Sie kämmte sich, schlang den Knoten neu, tuschte ihre zart olivfarbenen Lider leicht mit Lidschatten, trug farblosen Lippenstift auf und schlüpfte in ein hübsches limonenfarbenes Baumwollkleid, das Clarry ihr genäht hatte. Doch sie tat all diese Dinge automatisch.
Sie dachte nicht über den Telefonanruf hinaus. Wenn sie noch einmal anrief, und Manoel war wieder nicht da, würde die Familie misstrauisch werden; dieses Risiko wagte sie nicht einzugehen. Doch wie sollte sie sich sonst mit ihm in Verbindung setzen? Sie konnte doch nicht auf gut Glück nach Avignon fahren. Die Chance, ihn dort zu treffen, war allzu gering.
Mit einem hohlen Gefühl im Magen, das jedoch nicht vom Hunger herrührte, ging sie hinunter in den Speisesaal.
Sie aß wenig, obwohl die Fischsuppe köstlich schmeckte, und lehnte bis auf ein paar frische Früchte alle andern Speisen ab. Den Kaffee genoss sie; er war stark und wirkte belebend. Während sie ihn schluckweise trank, überlegte sie, ob sie vielleicht zur Manade hinausfahren sollte, ohne sich telefonisch anzumelden.
Sie verließ das Restaurant, ging durch die Halle zum Eingang und blickte nachdenklich auf den schattigen Platz hinaus. Das Hotel war um diese Zeit noch nicht voll belegt, denn für Touristen war es noch zu früh. Sie kamen später, im Mai und im Juni, wenn die Festivals begannen, wenn die Zigeuner sich hier versammelten, um ihre Stammesfeste zu feiern …
Dianne presste die Hand auf ihren Magen, der mit einem Mal nervös zu flattern begann. Ihr war alles so bitter vertraut, und es schien ihr so unfair, dass sie ausgerechnet in dieser Jahreszeit hierher zurückkehren musste. Sie fuhr sich mit der Zunge leicht über die Lippen, auf denen sie plötzlich wieder den Geschmack trockenen gesalzenen Brotes spürte. Der Duft von würzigem roten Wein, aus irdenen Krügen getrunken, stieg ihr in die Nase. Sie hörte das erregte Durcheinander von Geräuschen und Stimmen, die leidenschaftliche Musik. Sie wurde wieder von jenem rückhaltlosen Glücksgefühl durchpulst, das sie damals empfunden hatte, als sie an den seit Jahrhunderten überlieferten Festen teilnehmen durfte.
Mit geballten Fäusten wandte sie sich ab. Es hatte keinen Sinn! Sie musste es tun, gleichgültig, wie schmerzlich oder hässlich es sein würde. Sie musste es um Jonathans willen tun.
Sehr zum Erstaunen des Hoteldirektors verbrachte sie den Nachmittag im Hotel. Er hatte sie offensichtlich als Touristin eingestuft, und es war ihm rätselhaft, warum sie nicht auf der Jagd nach Sehenswürdigkeiten war. Ein paar Mal ertappte sie ihn dabei, dass er sie von der Schwelle des Gesellschaftszimmers aus beobachtete. Doch sie tat so, als bemerke sie es nicht, weil sie ihn nicht in Verlegenheit bringen wollte.
Als am Spätnachmittag auf dem Platz die Schatten länger wurden, verließ sie das Gesellschaftszimmer und ging wieder
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