0655 - Der Fund
Ich sah das Gesicht genau vor mir. Die Haare in der rostroten Farbe des reifen Weinlaubs, die leicht grünlich schimmernden Augen, die vollen Lippen, die mich anlächelten, bevor sich der Mund öffnete, wobei sich mir das Gesicht entgegen beugte.
Ein offener, kussbereiter Mund - und die beiden Vampirzähne, die weit aus dem Oberkiefer hervorragten.
Der Schock über diesen Anblick erwischte mich. Ich zuckte zusammen. Das Bild verschwand und ich öffnete wieder die Augen. Gleichzeitig hörte ich das leise Piepen des Walkie-Talkie. Es steckte in der rechten Tasche meiner weichen Lederjacke.
Ich holte das Gerät hervor, schaltete auf Empfang. »Ja?«, meldete ich mich.
»Schläfst du, John?«, vernahm ich die Stimme meines Freundes Suko.
»Fast. Ich habe geträumt.«
Er lachte spöttisch. »Von wem denn?«
»Vergiss es, Suko.« Ich wollte ihm nicht sagen, dass mir Nadine Berger in meinem Traum erschienen war. Damit hätte ich zugegeben, dass ich ihre Verwandlung in einen Vampir längst nicht überwunden hatte. Sie befand sich als Blutsaugerin in den Klauen von Dracula II, eines Supervampirs namens Will Mallmann.
Suko ließ nicht locker. »Es war also kein guter Traum?«
»Bestimmt nicht.«
»Bei mir hat sich nichts getan. Die Straße ist ruhig geblieben. Nichts zu sehen, nur die düstere Landschaft. Alles andere kannst du vergessen.«
»Bei mir ebenfalls, Suko.«
»Wenn was ist, melden wir uns.«
»Alles klar.«
»Und John…«
Seine Stimme klang etwas komisch. »Was hast du denn?«
»Träume nur nicht zu fest.«
Ich räusperte mich. »Keine Sorge, ich werde wach bleiben. Aber man ist keine Maschine.«
Den letzten Satz hatte er schon nicht mehr gehört, da war die Verbindung unterbrochen. Ich steckte das Gerät wieder weg und stellte mich hin, sodass ich ungefähr drei bis vier Yards vom Hochstand entfernt war, der einen zentralen Punkt inmitten des Waldes bildete.
Es war ein Waldstück, durch den bereits der erste Atem des nahenden Herbstes wehte. Die mörderische Hitze war vorbei - endlich, musste ich sagen.
Die Temperaturen waren stark gefallen. Es war in den letzten Tagen viel Regen gefallen, den die trockene Natur aufgesaugt hatte wie ein Schwamm. Auch den Menschen ging es besser. Der Kreislauf stabilisierte sich wieder, die Herzkranken hatten nicht mehr so zu leiden.
Regen hatte es zwar nicht gegeben, nur war es ziemlich feucht. Das lag auch an den Dunstschleiern, die sehr dünn und fein gewoben durch das Waldstück trieben, in dem ich meinen Platz gefunden hatte. Noch standen die Bäume dicht belaubt vor mir und boten mir mit ihren breiten Stämmen Schutz, aber die in der Nähe liegende Lichtung mit dem Hochstand als Zentrum bildete eine kahle Insel inmitten des Waldgebietes. Auch an diesem hohen Holzgestell kroch der feine Dunst hoch, als wollte er das Ding wie einen Kokon umwickeln und nicht mehr loslassen.
Grundlos schlägt sich niemand die Nacht um die Ohren. Auch Suko und ich machten da keine Ausnahme. Wir warteten auf eine Gruppe von Menschen, die in der Nacht dieses Waldstück unsicher machten und angeblich auf der Suche waren.
Wonach genau, das konnte uns niemand direkt sagen. Es gab da nur Vermutungen. Manche Leute erklärten, dass diese Fremden nach einem bestimmten Grab suchten.
Sie hatten es zunächst geheimnisvoll gemacht und nur wenige Leute darauf angesprochen. Schließlich waren sie an den Förster geraten und der hatte sich nur wundern können, weil er von einem Grab nichts wusste. Das nahm ihm die Gruppe nicht ab. Die Unbekannten hatten nachgefragt und ihn sogar bedroht.
Nun, der Förster hatte sich an die Polizei gewandt. Ein Kollege von uns, der in der Nähe sein Wochenendhaus hatte, war dem Fall privat nachgegangen.
Zu seinem Schaden. Er war in die Falle der Unbekannten gelaufen und lag bereits seit mehr als einer Woche auf der Intensivstation eines großen Krankenhauses.
Da uns seine Aussagen ebenfalls erreicht hatten, durch eine Routinemeldung, wir aber über den Begriff Templer gestolpert waren, hatten wir beschlossen, uns des Falles anzunehmen.
Suko und ich hatten den Förster Kevin Lakeman befragt und ebenfalls keine konkrete Antwort erhalten. Der Gute wusste nichts und einen Friedhof gab es auch nicht in der Nähe. Sollte tatsächlich ein Grab vorhanden sein, dann musste es sehr versteckt liegen. Aber von den Unbekannten wusste er schon. Er hatte auch gesehen, dass sie sich hin und wieder trafen und sogar auf nächtliche Grabsuche gingen.
Da der Kollege
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