Arabellas Geheimnis
PROLOG
Böhmen
Herbst 1381
Arabella Rowan rannte so schnell sie konnte in den schützenden Wald und zwang sich, ganz leise zu sein, während sie die Hütte ihrer Mutter auf der anderen Seite der Wiese im Auge behielt. Fünf Pferde, die die Standarten des Königs trugen, waren vor der Tür angebunden und stampften und schnaubten im leichten Wind des späten Nachmittags.
Männer.
Arabella wusste, dass sie sich ihrem Zuhause nicht nähern durfte, wenn Männer sich darin aufhielten. Schon ihr ganzes Leben lang galt dieses Gebot, auch wenn sie es seit Eintritt ihrer monatlichen Regel vor ungefähr sieben Sommern noch strenger befolgte. Ob Bauern oder Edelleute, für den Haushalt allein lebender Frauen konnten Männer eine Gefahr bedeuten.
Als die Brettertür aufschwang, drängten fünf kräftige, in Samt und Seide gekleidete Edelmänner heraus und gingen zu ihren ungeduldigen Reittieren.
Arabella wartete im Wald, bis die Gefolgsleute des Königs in einer Staubwolke verschwunden waren. Nachdem sie zuerst erleichtert aufgeatmet hatte, wurde sie jetzt doch von Neugier gepackt. Barfuss, trotz der kalten Erde, lief sie den grasbewachsenen Hügel zur Steinhütte hinauf. Sie stürmte durch die Tür und wäre dabei beinahe über die Schwelle gestolpert.
„Was ist geschehen? Was wollten diese Männer …“
Ihre Worte erstarben, als sie die Stimmung bemerkte, die in der Hütte herrschte. Ihre Mutter und ihre Großmutter steckten die Köpfe zusammen und sprachen leise miteinander. Ein besorgter Ausdruck ließ ihre Gesichter düster und älter als gewöhnlich aussehen.
„Was ist los?“ In dem kühlen Raum, der als Stube und Küche zugleich diente, ließ Arabella sich auf einen Holzstuhl sinken, stellte den Kräuterkorb zu ihren Füßen ab und strich sich die wirren Locken aus der Stirn. Es war eher die Unruhe, die in ihrem Magen rumorte als der Hunger auf das Abendessen.
Zaharia trat zu ihrer Enkeltochter. „Du wirst eine Reise machen, Arabella. Der König möchte, dass du die Prinzessin begleitest.“
Das konnte nicht wahr sein. Vor ihren Augen begann alles zu verschwimmen, und es drehte sich ihr der Kopf. Selbst in den entlegendsten Randgebieten des Böhmerwaldes war bekannt, dass die Prinzessin eingewilligt hatte, einen ausländischen König in einem fernen Land zu heiraten. Wortlos blickte Arabella ihre Mutter an und wartete auf ihre Bestätigung, obwohl sie wusste, dass die Entscheidung ihrer Großmutter, wie schon so oft, endgültig sein würde.
Die Mutter ließ ein unterdrücktes Schluchzen hören und barg das Gesicht in den Händen. Mit einem Mal ließ Angst Arabellas Herz schneller schlagen.
„Du kennst deine Pflicht, Bella.“ Großmutter Zaharia betrachtete sie ernst mit ihren grünen Augen. Das weiße Haar hatte sie im Nacken zu einem Knoten gebändigt. Jetzt setzte sie sich auf die Bank neben Arabella. „Wenn König Wenzel Prinzessin Anne zu dem jungen englischen König schickt, damit sie ihn heiratet, dann wirst du sie als Hofdame begleiten.“
„Ich verstehe nicht. Gibt es am Hof in Prag nicht genügend Frauen für diese Aufgabe? Mein Platz sollte an deiner Seite sein, so wie immer. Ich möchte von dir die Heilkunst lernen.“ Sie musste sich gegen die Entscheidung ihrer Großmutter nur entschlossen genug wehren und zeigen, wie sehr sie die Kunst der weisen Frau schätzte, dann würde Zaharia schon nachgeben. Hatte die Großmutter nicht immer gesagt, in Arabellas Adern fließe das Blut einer Heilerin?
„Wie es scheint, stellt König Wenzel ein ungewöhnlich großes Gefolge für Prinzessin Anne zusammen. Er möchte, dass ihre Ankunft das englische Volk beeindruckt, da ihr zukünftiger Gatte sie ohne Mitgift zur Frau nimmt.“
„Aber ich bin keine Hofdame. Durch mich wirkt niemand eindrucksvoller.“ Zur Bestätigung streckte sie ihren nackten Fuß aus, während Verzweiflung über sie kam. Würde sie ihre Familie je wiedersehen, wenn sie das Land erst einmal verlassen hätte? Wahrscheinlich würde sie ihre Lehre bei ihrer Großmutter nie zu Ende bringen können, nie wieder Kräuter sammeln noch der Entdeckung einer neuen Heiltinktur entgegenfiebern. „Wir haben nie wie Edelleute gelebt. Ich könnte uns Schande machen.“
„Nichtsdestoweniger bist du von so edler Geburt wie kaum irgendeiner bei Hofe, trotz unseres Mangels an Reichtümern.“ Großmutter Zaharia zog eine Pergamentrolle hervor, die in den Falten ihres Gewandes verborgen gewesen war und las daraus vor. „Man wünscht die
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