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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Es kostete sie Mühe zu sprechen. Schließlich flüsterte sie dem Prälaten zu: »Ich habe genascht. Ich habe, obwohl es streng verboten war, aus einem Topf mit rheinischem Apfelkraut genascht.«
    Ob meine Mutter mit der Absolution, die sie nun ohne weiteres und ohne besonders drückende Bußauflagen empfing, recht zufrieden war, kann ich nicht sagen. Jedenfalls kehrte ihr aufsässiger Geist schnell wieder zurück, und obwohl ihr die Erleichterung ihres Herzens eigentlich gutgetan hatte und auch einem Bedürfnis nach gelegentlicher Reinigung ihrer Seele entsprach, führte sie in der Kirchenbank, in die sie zu ihren Seidenpäckchen zurückgekehrt war, murrende Selbstgespräche. Sie wisse sehr gut, was sie »ihrem Herrgott« schuldig sei, und bedürfe |30| keiner Hilfestellung von einer Sorte von Priestern, deren Interesse an der Vergangenheit doch keinesfalls nur aus frommer Quelle komme. Eine vergangenheitskritische Stimmung hielt stets eine ganze Weile nach der Beichte noch an: Historiker mit ihren Veröffentlichungen zu den Hintergründen der Korea-Krise fielen ihr genauso anheim wie die Erinnerungen ihrer Schwester an die Studentenzeit. Sie verstieg sich in der Katerstimmung ihrer Beichterlebnisse gern zu einer geradezu schwärmenden Zukunftsgläubigkeit – der Blick nach vorn, das Zutrauen in die gewaltigen Neuerungen der Technik, die Erfindungen auf dem Gebiet der Zahnmedizin erfüllten ihre Reden, während alles, was an Kunst und Literatur erinnerte, mit Verachtung gestraft wurde, weil sie Kunst und Literatur vornehmlich in den Belehrungen ihres Mannes begegnete, der zur Kunst seines Jahrhunderts kein wirkliches Verhältnis gefunden hatte. Ihre Abneigung gegen die Griechen war nie so stark wie unmittelbar nach einer Beichte. Schon ein halbes Jahr nach einem Bußakt konnte sie Details aus dem Peloponnesischen Krieg mit freundlicher Gleichgültigkeit hinnehmen und die Suppe so ungerührt dabei ausgeben, als werde über die leichten Lasten des Alltags gesprochen.
    Mein Vater hielt dies für langsam erwachendes Interesse an den Gegenständen seiner Unterhaltung und begann weiter auszuholen, Hintergründe darzustellen, Szenen zu entwerfen, die seine Thesen verständlicher machen sollten. Er ließ sich regelrecht von seinem Thema hinreißen, vor seinem inneren Auge erschienen die Bilder, die seine Wörter in ihm beschworen; und dann riß der Redestrom ab, und der Mund ging noch einige Male stumm auf und zu und gab nur ungeformte Laute von sich, die keinerlei Mitteilungswert besaßen. Er erschien in diesen Augenblicken meiner Mutter als das wahre Gesicht der Geisteswissenschaften: kindisch wirklichkeitsfern und zugleich vergreist. Dabei sprach ihre Aversion gegen die Bücherwelt meines Vaters nicht von ganz unsicherem Instinkt, denn so genau ihr mein Vater alles Gelesene, was er liebte, beim Essen vortrug und oft nur ein Stichwort genügte, um einen kenntnisreichen Vortrag hervorzulocken, so häufig hatte ich den Verdacht, daß er sie eigentlich |31| gar nicht belehren, sondern ihr nur eindrucksvoll vorführen wollte, wie hoch die Mauer war, die sie von ihm trennte.
    Ich glaubte diese Methode zum erstenmal festzustellen, als mein Vater während einer ernstlichen Verstimmung zwischen ihnen bei Tisch über die Naturphilosophie Goethes sprach und sie dabei aus den Augenwinkeln beobachtete. Er verwendete schwierige Wörter, die er, wenn sie ihn verständnislos ansah, nur andeutungsweise und wie nebenbei erklärte. Er beantwortete ihre Fragen mit Hinweisen, die sie noch mehr verwirren mußten. Und er aß mit betonter Munterkeit, als er feststellte, daß meine Mutter das Gespräch aufgegeben hatte und kopfschüttelnd und murmelnd den Löffel sinken ließ.
    Überhaupt gab es immer Suppen bei diesen Unterhaltungen, die, obwohl meine Mutter immer die gleichen Suppen kochte, stets anders ausfielen, und zwar auf Grund von Versehen oder Unachtsamkeiten. Einmal waren sie sehr dünn, ein andermal sehr dick, dann hatten eigentlich geröstete Brotstückchen hineingehört, dann eine bestimmte Wurst, die im Eisschrank liegengeblieben war; ein Gemüse hatte es nicht gegeben, obwohl es angeblich gerade darauf angekommen wäre. Das Kochen war ein Mysterium, vom Menschen wohl nicht beherrschbar, sondern frei wie Wetter, Wind und Wolken. Mein Vater lobte die Suppe besonders dann, wenn er glaubte, daß meine Mutter ihn nicht verstanden habe. Als kleinem Kind waren mir die Suppen unerträglich, weil sie auch nach langer Zeit des

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