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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Regionalismus hatte in ihrer Vorstellung den engen Kreis ihrer Herkunft längst zum Zentrum der Erde gemacht. Wenn sie zum Beispiel das Faß Apfelwein erwähnte, das im Vorratsraum hinter der Küche stand und jedes Jahr von den Vettern an der Mosel in das Haus der Großeltern geschickt wurde, so gebrauchte sie stets das moselanische Wort, als müsse jeder den Dialekt ohne weiteres verstehen, und in ihrem Wörterbuch würde es stets heißen: »Apfelwein ist ein schwächeres, blasseres Wort für Fietz«, und nicht etwa: »Fietz heißt auf mosel-fränkisch Apfelwein.«
    So war ihr, wenn sie an ihre Tat dachte, nur im Gedächtnis geblieben, daß sich in der Küche niemand aufgehalten hatte. Bei dem vor ihren Augen erscheinenden Bild der leeren Küche fielen ihr sofort die morgendlichen Gänge ihres Vaters ein, die sie |28| behalten hatte, weil sie in der geschilderten Kostümierung stattfanden, die ihr als besonderer Ausdruck der Männlichkeit und zugleich der Lächerlichkeit vorkam. Nie hat sie von daher die Angewohnheit verloren, typisch männliche Verhaltensweisen mit Hohn zu bedenken. Die leere Küche war mit diesen Kontrollen derart verbunden, daß sie sich ein Eindringen in das Souterrain nur noch als Überlisten ihres wachsamen Vaters vorstellen konnte. Dabei ist es unwahrscheinlich, daß meine Mutter, die den Morgenschlaf damals wie heute liebte, sich vor Tau und Tag erhoben haben soll, um ihren sichernden Vater abzupassen.
    Es gab auch andere Gelegenheiten, bei denen niemand in der Küche war, Sommernachmittage, an denen ein Gewitter aufzog, während die Dienstmädchen sich zu einer Dampferfahrt aufgemacht hatten, die älteren Schwestern aus dem Hause waren, die Großmutter bei ihrer Tante saß und der Großvater in schweren Stiefeln die Höhen des Siebengebirges abschritt. Nur an einem solchen sich unendlich dehnenden Nachmittag, an dem die Uhren tickten und die Bienen summten, konnte aus dem Überdruß am Alleinsein und aus einem aus der Langeweile gewachsenen kleinen Hunger in meiner Mutter der heiße Wunsch entstanden sein, sich umzusehen, langsam aufzustehen, das verabscheute Häkelknäuel in sein Körbchen zu legen, den Atem anzuhalten und zu lauschen.
    Meine Mutter war längst fort. Sie stand in der dämmerigen Diele und blickte hinauf, wo ein bißchen Licht aus dem bunten Glasfenster des Treppenhauses auf die Stufen fiel und grüne Pflanzen standen. Die Türe zum Souterrain war ein schwarzes Loch. Meine Mutter tastete sich im Dunkeln voran. Unten ging es um eine Ecke, wo verschiedene Besen standen, und dann leuchtete ihr die Küche entgegen, deren Reinlichkeit ihre Helligkeit noch verstärkte. Obwohl die Küche halb unter der Erde lag, war sie heller als die Wohnzimmer, die große Fenster hatten und doch immer düster waren. In der Küche roch es nach Seife. Der Boden war geschrubbt, und auch die großen Tische waren blank gescheuert. Dies Reinigungswerk hatte etwas Endgültiges, als solle auf diesen Tischen nie wieder Gemüse geschnitten und |29| Fleisch gehackt, als sollten diese Töpfe verkauft und weggebracht werden, als sollte dieser Herd für immer kalt bleiben. Unter Anleitung meiner Großmutter verhielten sich die Dienstmädchen wie die klugen Jungfrauen aus dem Neuen Testament. Sie rüsteten die Küche, wenn sie sie verließen, als ob sie nie wieder dorthin zurückkehren würden, sei es, weil sie bei ihrer Ausflugsdampferfahrt ein sommerlicher Blitz erschlug, sei es, weil ihnen ihre Liebhaber bei Gelegenheit dieser Ausflugsfahrt ein Kind machten, was die fristlose Kündigung nach sich gezogen hätte.
    Die Vorratskammer war offen. Meine Mutter wußte, was sie wollte. Sie öffnete einen großen Blechtopf, der im Regal stand und in den ein Muster aus goldenen Blättern und Früchten gestanzt war. Sie nahm den Topf in die Hände und neigte ihn. Am Rand blieb eine dünne Schicht kleben, und nun sah man, daß der Inhalt nicht schwarz, sondern in gehöriger Verdünnung braun war, zart goldbraun. Sie sah in den dunklen Spiegel, hob ihre Hand, steckte den Zeigefinger in die schwarze Masse, zog ihn heraus, betrachtete den großen gold-braunen Tropfen, der zarte Fäden zog, steckte ihn in den Mund und leckte den Finger sorgfältig ab. Die Masse war sehr süß und schmeckte ein wenig muffig. Daß sie an den Topf in der Vorratskammer gegangen war, wurde von niemandem bemerkt. Auch mit einer Briefwaage wäre die Menge des Entnommenen schwer festzustellen gewesen.
    Meine Mutter schlug die Hände vors Gesicht.

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