Das Bild - Geschichte einer Obsession
Claire nahm eine amerikanische Zigarette aus dem Päckchen, das ich auf den Tisch gelegt hatte, und zündete sie sogleich selbst an. Dann betrachtete sie ihre Freundin und beugte sich zu ihr, um eine Strähne ihres blonden und feinen goldschimmernden Haares zurechtzurücken.
«Nicht wahr, sie ist hübsch?»
Claire hatte das mit provozierender Stimme gesagt. Ich antwortete: «Ja, sehr», aber mit einer Nuance von Höflichkeit.
«Doch, sie ist sehr hübsch», wiederholte Claire; «sogar mehr als das, Sie werden sehen.»
Ich betrachtete das junge Mädchen. Sie saß unbewegt da, den Blick gesenkt auf ihr Glas Mineralwasser, in dem immer noch kleine gleichmäßige Bläschen von den Wänden zur Oberfläche stiegen.
«Sie können sie berühren, wenn Sie wollen», sagte Claire.
Ich warf einen flüchtigen Blick in ihre Richtung. Ich fragte mich, ob sie nicht ein wenig betrunken war. Doch sie schien ganz nüchtern zu sein; lediglich zynisch, so wie ich sie seit jeher kannte:
«Sie werden sehen: es ist sehr angenehm.»
Ich machte mir erneut Gedanken über die Bedeutung dieses Futurs: «Sie werden sehen.» Und ich betrachtete wieder die runde und glatte Schulter, die sich braun von dem weißen Stoff abhob.
Meine rechte Hand ruhte auf der Lehne der Bank; ich brauchte sie nur ein wenig nach vorne zu schieben, um mit den Fingerspitzen die golden schimmernde Haut leicht zu berühren.
Die junge Frau durchlief ein leichtes Zittern, und für eine Sekunde hob sie die Augenlider und sah mich an.
«Sehr angenehm», stimmte ich zu, wobei ich zu Anne sprach.
Claire führ sogleich fort:
«Sie hat auch hübsche Augen, wissen Sie. Komm, blicke den Herrn an, damit er deine Augen sieht.»
Gleichzeitig schob sie sanft mit ihrer geschlossenen Faust ihr Kinn hoch.
Die kleine Anne sah mich einige Augenblicke an, dann senkte sie errötend von neuem die Lider. Sie hatte wirklich schöne grüne Augen, sehr groß, mit langen geschwungenen Wimpern.
Claire streichelte jetzt mit der Hand ihr Gesicht und sagte dabei, allerdings nur halblaut, als spräche sie zu sich selbst: «Und einen schönen Mund... hübsche Lippen, sanft... und erfahren... und hübsche Zähne... Schöne kleine Zähne... Zeig sie uns doch auch einmal.»
Sie öffnete mit den Fingern ihren Mund.
«Bleib so», sagte sie.
Ihr Ton war plötzlich hart geworden.
Die kleine Anne blieb artig in der Position, in die sie gerückt worden war, mit halbgeöffnetem Mund, der den Rand der Zähne sehen ließ, die in ebenmäßiger Reihe glänzten. Doch sie hatte ihr Gesicht Claire zugewandt.
Ihre geöffneten Lippen zitterten leicht. Ich dachte, sie würde zu weinen anfangen. Ich wandte mich ab und trank ein paar Schluck Mineralwasser.
«Eines Tages», sagte Claire, «werde ich Ihnen Fotos zeigen, die ich von ihr gemacht habe.»
In diesem Augenblick glaubte ich zu hören, wie die junge Frau protestierte; oder jedenfalls leise stöhnte. Sie hatte nicht das geringste Wort gesagt seit dem undeutlichen «Monsieur» des Anfangs, das einen anmutigen halben Knicks begleitet hatte, als sie mir vorgestellt wurde. Ich bildete mir ein, daß sie diesmal «Oh nein!» oder etwas in der Art gemurmelt hatte, was bei mir Zweifel weckte hinsichtlich der Anständigkeit der in Aussicht gestellten Fotos.
Doch Claire äußerte plötzlich den Wunsch, sofort zu gehen.
Während wir uns alle drei erhoben, sagte Claire noch zu mir: «Nun, gefällt sie Ihnen?», als sei ich ein eventueller Käufer. Gleichzeitig schob sie das Mädchen am Nacken zu mir hin. Dann, geradeheraus:
«Sie trägt keinen Büstenhalter, wissen Sie. Ich finde es amüsanter, sie zu zwingen, so auszugehen.»
Diesmal errötete die junge Frau heftig. Ich war sicher, daß Claire eine neuerliche peinliche Erklärung machen und die Abwesenheit eines weiteren üblicherweise vorhandenen Wäschestücks bei ihrer Freundin enthüllen wollte.
Gegen meine Erwartung fügte sie nichts hinzu und sprach von belanglosen Dingen, an jenem Abend zumindest.
II. Die Rosen in Bagatelle
Claire hatte sich mit mir für den nächsten Tag verabredet: wir sollten den Nachmittag zusammen in den Gärten von Bagatelle verbringen. Sie hatte darauf bestanden, mir selbst den Rosengarten zu zeigen, den ich noch nicht kannte.
Aber ich wußte jetzt genug, um nicht fragen zu müssen, ob wir allein wären oder in Begleitung ihrer jungen Freundin.
Übrigens hatte Claire bei unseren früheren Begegnungen niemals auch nur im geringsten den Wunsch geäußert, mich irgendeinen Garten oder irgendein
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