Das blaue Haus (German Edition)
war irritiert. Wann zum letzten Mal hatte sie seine Hände in ihrem Gesicht gespürt und Tränen in seinen Augen gesehen? Was bedrückte ihn plötzlich so sehr?
„Gut“, antwortete sie.
„Bist du jetzt stärker?“, fragte er weiter.
„Wie stark muss ich denn sein?“, fragte sie und wurde unruhig.
„Hasst du Dane immer noch?“
„Ich habe ihn nie gehasst, Dad. Nur, es braucht eben alles seine Zeit. Auch die Liebe.“
„Wie stabil bist du für ihn?“
„Muss ich das jetzt noch sein?“ Sie spürte ein starkes Unbehagen aufkommen. Was sollten diese Fragen hier am Grab, wo Dane doch tot unter der Erde lag? Warum sollte sie jetzt noch stark für ihn sein?
„In gewisser Weise musst du das jetzt“, sagte Ben Newshorn.
Mit diesen Worten wurde sie aufmerksam und sah sich um.
Der Mann hinter ihr war nicht verschwunden. Er stand nach wie vor hinter ihr – viel zu dicht für einen Fremden. Sie musste nicht zu ihm hinaufblicken, um in seine Augen zu sehen.
Er trug einen Bart. Sie konnte nicht sagen, ob es sie schockierte, als sie diesen Mann ansah. Sie sah ein Traumbild und musste lächeln. Sie überlegte, ob ihr Vater dieses Traumbild ebenfalls sehen konnte, denn was sonst sollten seine merkwürdigen Fragen eben bedeuten? Dane war tot. Sie selbst hatte seinen Tod miterlebt, ihn sterben gesehen. Wie stark war doch immer noch seine Kraft in ihr, dass sie ihn hier plötzlich als eine Halluzination erscheinen lassen konnte?
Wenn da nicht der Vollbart wäre ...
Alan, dachte sie plötzlich. Der hat einen Vollbart. Dane nicht. Es muss Alan sein.
Dane spürte sein Herz nicht mehr. Er wartete darauf zu erwachen. Sarah sah ihn an, wie jemanden, den sie täglich sah. Wo war der Schock in ihr? Die Angst? Dieses Lächeln konnte unmöglich voller Angst sein. Oder sah sie durch ihn hindurch? Vielleicht sollte er reden, um sich bemerkbar zu machen. Aber was? Welche Worte würden jetzt angebracht sein? Vielleicht hallo oder wie geht's oder hey , lange nicht gesehen ? Nein, es musste etwas Besonderes sein, das sie direkt wieder mit ihm verband. Was ihm schließlich entglitt, war ein heiseres „Sarah“.
Damit verschwand ihr Lächeln, Alan und vieles mehr. Die Freude, die sie eben noch empfunden hatte, wechselte zuerst in einen Schreck, dann in einen Schock und dann in pure Panik. Jetzt bekam sie die Konsequenz von Julies Therapie doch vollends zu spüren.
Ihre Knie wurden weich, und sie machte einen Schritt nach hinten, als Dane zu sprechen begann: „Es ist nicht so ... “
Ben fing seine Tochter auf. Dane versuchte, ebenfalls nach ihr zu greifen, doch sie wich weiter vor ihm zurück.
Er versuchte, weiterzusprechen, die Situation irgendwie zu retten: „Es war anders, ... ich war bei Ragee, ... er hat mir geholfen, ... ich liebe dich.“ Damit endete Danes Mut und nahm seine Stimme mit. Alles in ihm brach zusammen und er weinte.
Sarah wusste nicht, was sie glauben sollte. War es wirklich Dane oder nur seine Stimme, die sie hörte – oder doch Alan?
„Sie suchen mich“, fuhr Dane schluchzend fort. „Überall. Ich wollte dich sehen.“
Sarah schluckte.
„Ich wollte doch nur zu dir, doch ich habe sie umgebracht, sonst hätte sie mich umgebracht. Es war so erniedrigend und so dringend. Es ging nicht anders.“
Sarah streckte ihre rechte Hand aus. „Dane?“, flüsterte sie heiser. Er wollte ihre Hand berühren, doch er tat es nicht. Er redete weiter: „Das Baby. Es hat alles auffliegen lassen. Ich liebe es. Ich will es. Ich will dich ... euch. Sie hat mich erpresst. Sie hat unsere Therapie zerstört. Sie hat dich gegen mich aufgehetzt. Ich konnte nichts tun. Man hätte mich sonst geschnappt, wenn ich was getan hätte. Jetzt habe ich es getan, und nun suchen sie mich.“
Ben Newshorn hielt immer noch seine Tochter fest, die mit ausgestreckter Hand vor Dane stand. Dann fiel das Schlüsselwort: Julie.
„Julie?“, hauchte Sarah zurück.
„Sie hat alles zum Hass getrieben. Ich habe sie umgebracht. Sie hat versucht, dich zu töten. Sie hat versucht, mich zu töten. Sie hat ihren Vater getötet. Sie war ein Miststück. Jetzt ist sie tot. Ich wollte nicht, dass sie dich tötet. Sie hat alles mittendrin kaputtgemacht.“
Wieder fragte Sarah ungläubig: „Julie?“
„Julie Presscott. Es ist gut so.“
Ben Newshorn fuhr dazwischen. Auch wenn ihm alles zu unheimlich war, so fühlte er sich doch stabiler als seine Tochter. „Wie ist das möglich? Du bist doch tot.“
„Ein Trick, Ben“, wandte Dane sich an Ben Newshorn. „Nichts
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